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Die Kreuzweg-Legende

Die Kreuzweg-Legende

Titel: Die Kreuzweg-Legende
Autoren: Jason Dark
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Seite und schaute an sich hinunter.
    Das alte Arbeitskleid trug sie. Auch Holzpantinen. Dabei wollte sie sich für ihren Ritter schön machen. Aber das andere Kleid lag im Waschtrog, sie konnte es jetzt nicht mehr hervorholen, ohne daß ihre Mutter etwas bemerkt hätte.
    Deshalb mußte sie so gehen, wie sie war. Hoffentlich verzieh ihr der Bräutigam.
    Rasch hatte sie den Riegel des Fensters zur Seite geschoben. Als sie den Flügel aufzog, merkte sie, wie stark der Sturm war. Fast hätte er ihr den Flügel aus der Hand gerissen, und er blies mit der Gewalt eines Orkans in das kleine Dachzimmer hinein. Die brennende Kerze kippte um. Zum Glück verlöschte auch die Flamme, so daß kein Brand entstehen konnte.
    Wanda streckte ihren Kopf nach draußen. Der Wind heulte ihr entgegen, griff unter das Haar und schlug es zur linken Seite weg. Rechts und links des Fensters wuchs Efeu neben wildem Wein bis hoch zum Dach. Eine Leiter besaß Wanda nicht. Deshalb beschloß sie, sich an den Ranken in die Tiefe gleiten zu lassen. Sie würden ihr Gewicht bestimmt halten. Und wenn sie rissen, war es auch nicht schlimm, dann hatte sie sicherlich die Hälfte des Weges längst hinter sich.
    Als Kind war sie zum letztenmal aus dem Fenster geklettert. Das lag Jahre zurück, und sie besaß längst nicht mehr die Übung wie früher. Hinzu kam der Sturm, der sie packen würde, wenn sie sich an den Ranken festklammerte. Ein wenig Angst hatte sie schon, doch die Stimme in ihrem Innern war wesentlich stärker.
    Nichts konnte den Ruf des Herzens und der Liebe verdrängen!
    Vorsichtig stieg sie auf die Fensterbank. Zuerst mit dem rechten Fuß. Den Arm schob sie durch die Öffnung, drehte die Hand und hielt sich schon an den Ranken und Blättern über dem Fenster fest: Sie zog einen Moment daran.
    Ja, die Ranken hielten…
    Ein befreiender Atemzug drang über ihre Lippen. Wenn die Pflanzen bis zum Boden so stark waren, konnte sie aufatmen und hatte nichts zu befürchten.
    Zum Glück war die Hauswand nicht so glatt. Unter den Ranken lag das rauhe Gestein verborgen. Manchmal mit Vorsprüngen, kleinen Ecken und Kanten versehen, an denen sie auch Halt finden konnte. Als sie das Zimmer verlassen hatte und sich angstvoll an den Pflanzen festklammerte, kam es ihr vor wie ein endgültiger Abschied. Sie glaubte noch, die warnenden Worte der Mutter zu hören, als diese gesagt hatt: »Hüte dich vor dem unheimlichen Schattenreiter. Er ist ein Teufel in Menschengestalt!«
    Aber konnte der Teufel mit Liebe locken? Das wollte Wanda einfach nicht glauben. Nein, der verkörperte das Böse, das Hinterhältige, und er vertrat auch die Hölle.
    Sehr vorsichtig bewegte sie ihre Beine. Der Sturm war für einen Moment eingeschlafen. Er schien sich nach dem Mädchen richten zu wollen, um ihm die Chance zu geben, aus dem Fenster und an der Hauswand nach unten zu klettern.
    Mit jedem »Schritt« wurde sie sicherer. Zudem fand sie immer Halt. Aber sie mußte sich nach rechts bewegen. Wenn sie gerade weiterkletterte, würde sie am Zimmer ihrer Eltern vorbeihuschen. Sollten diese zufällig aus dem Fenster schauen, waren alle Anstrengungen umsonst. Die Sehnsucht beflügelte das Mädchen. Trittsicher fand Wanda die Stellen, die sie benötigte, um nicht in die Tiefe zu stürzen. Ohne größere Schwierigkeiten passierte sie auch das Schlafzimmerfenster ihrer Eltern.
    Ein Lächeln flog über ihr Gesicht. Bis der nächste Windstoß kam. Urplötzlich heulte er heran. Wanda konnte sich nicht mehr festhalten. Die Ranken, um die sich ihre Hände geklammert hatten, begannen zu schwanken und rissen im nächsten Augenblick.
    Das Mädchen fiel!
    Aus ihrer Kehle drang ein Schrei. Der heranheulende Sturm verschluckte ihn, so daß er verwehte und auch von ihren Eltern nicht mehr gehört werden konnte.
    Sie schlug zu Boden.
    Es war ein harter Fall, aber auf weichem Rasen. Deshalb verstauchte oder brach sie sich auch nichts. Es war der Schock, der sie einfach dazu trieb, auf der Erde liegenzubleiben.
    Abermals fauchte eine Bö heran, wühlte sich in und unter ihre Kleidung und schleuderte den Rock in die Höhe, so daß er fast wie ein Zelt über ihren Kopf zusammenfiel.
    Mit den Händen schlug sie den Stoff zur Seite, holte hecktisch Atem und stellte erst jetzt fest, daß ihr bei dem Fall in die Tiefe nichts passiert war. Dann wurde ihr klar, daß sie hier im Garten leicht zu entdecken war, und sie stemmte sich auf die Füße.
    Der Sturm orgelte aus einer anderen Richtung heran. Sie brauchte
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