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Die Kreatur

Die Kreatur

Titel: Die Kreatur
Autoren: Dean Koontz
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Glasbehälter, das ihr Angst eingejagt hatte, beunruhigte dieses Geschöpf sie überhaupt nicht. Das Ausbleiben jeglicher Furcht wunderte sie.
    Der Troll hatte große, ungewöhnlich ausdrucksstarke Augen. Sie waren schaurig und schön zugleich.
    Sie verspürte ein unerklärliches Mitleid mit diesem Wesen und fühlte sich ihm seltsam verbunden.
    Der Troll lehnte seine Stirn an das Glas und sagte mit seiner krächzenden Stimme recht klar und deutlich: »Harker.«
    Erika dachte einen Moment lang darüber nach. »Harker?«
    »Harker«, wiederholte der Troll.
    Sie gab die Antwort, die erforderlich war, falls sie ihn richtig verstanden hatte. »Erika.«
    »Erika«, sagte der Troll.
    »Harker«, sagte sie.
    Der Troll lächelte. Sein Lächeln war wie eine hässliche Wunde in seinem Gesicht, doch Erika zuckte nicht zusammen.
    Ein Teil ihrer Pflichten bestand darin, die vollendete Gastgeberin zu sein. Die vollendete Gastgeberin empfängt jeden Gast unterschiedslos mit Wohlwollen.
    Sie nippte an ihrem Cognac, und eine Minute lang erfreuten sich beide daran, einander durch die Glasscheibe anzustarren.
    Dann sagte der Troll: »Hasse ihn.«
    Erika dachte über diese Bemerkung nach. Sie beschloss,
wenn sie den Troll fragte, von wem die Rede sei, könnte seine Antwort es erforderlich machen, dass sie das Geschöpf bei jemandem meldete.
    Die vollendete Gastgeberin braucht nicht aufdringlich zu werden. Es zählt jedoch zu ihren Pflichten, einem Gast die Wünsche von den Augen abzulesen, ehe er sie ausspricht.
    »Warte hier«, sagte sie. »Ich komme gleich wieder.«
    Sie ging in die Küche, fand in der Speisekammer einen geflochtenen Picknickkorb und füllte ihn mit Käse, kaltem Braten, Brot, Obst und einer Flasche Weißwein.
    Sie dachte sich, wenn sie zurückkäme, könnte der Troll vielleicht schon fortgegangen sein, doch er war immer noch am Fenster.
    Als sie die Verandatür öffnete und hinaustrat, bekam der Troll einen Schrecken und huschte über den Rasen davon. Aber er rannte nicht weg, sondern blieb stehen, um sie von weitem zu beobachten.
    Sie stellte den Weidenkorb hin, kehrte auf die Veranda zurück, setzte sich wieder und schenkte sich einen Cognac ein.
    Anfangs zaghaft und dann mit unerwarteter Kühnheit ging das Geschöpf auf den Picknickkorb zu und hob den Deckel.
    Als ihm die Art der Gabe klar geworden war, nahm er den Weidenkorb, eilte damit zur Grundstücksgrenze und verschwand in der Nacht.
    Die vollendete Gastgeberin spricht nicht über ihre Gäste. Sie versäumt es niemals, Geheimnisse für sich zu behalten und vertrauliche Mitteilungen zu respektieren.
    Die vollendete Gastgeberin ist einfallsreich und geduldig und vergisst so schnell nichts – ebenso wie eine kluge Ehefrau.

Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel
DEAN KOONTZ’S FRANKENSTEIN, BOOK TWO,
CITY OF NIGHT bei Bantam Dell,
a Division of Random House, Inc., New York
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Vollständige deutsche Erstausgabe 12/2006
Copyright © 2005 by Dean Koontz
Copyright © 2006 dieser Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
     
     
     
    Satz: Greiner & Reichel, Köln
    eISBN 978-3-641-07854-6
     
     
    http://www.heyne.de
    www.randomhouse.de
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