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Die Königin von Theben

Die Königin von Theben

Titel: Die Königin von Theben
Autoren: Christian Jacq
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thebanische Gebiet zu verlassen.
    Flink stieg die junge Frau in den Kahn und ergriff die Ruder. Da sie gen Norden steuerte, konnte sie die Strömung nutzen.
    Niemand befuhr nachts den Fluss, denn es gab zahlreiche Gefahren: Flusspferde, Krokodile, Stromschnellen … Doch Ahotep hatte keine Wahl. »Und wenn man keine Wahl hat«, pflegte sie zu sagen, »ist man frei!«
    Entschlossen begann die Prinzessin zu rudern.
    Da ihr niemand genau hatte sagen können, wo das freie Gebiet endete und das besetzte Land anfing, musste sie es eben selbst herausfinden. Die ängstlichsten Berater nahmen an, dass die Hyksos nach der vor kurzem erfolgten Machtergreifung Apophis', der einen noch grausameren Ruf als seine Vorgänger genoss, schon sehr weit vorgedrungen waren. Und sie bedrängten Teti die Kleine, Theben unverzüglich zu verlassen.
    Doch wo konnte man noch sicher leben?
    Ahotep war davon überzeugt, dass die einzige Lösung darin bestand, die Hyksos anzugreifen. Das erste Gefecht würde an der Grenze stattfinden, und wenn es nötig sein sollte, würde die Prinzessin selbst die zerlumpten ägyptischen Regimenter anführen!
    Seit der Invasion vor vierzig Jahren waren Tausende ihrer Landsleute erschlagen worden. Die Hyksos glaubten, sie könnten völlig straffrei handeln und ihre Schreckensherrschaft im großen Land der Zwei Reiche weiterhin aufrechterhalten. Doch Ahotep würde ihnen beweisen, dass auch ihre Macht beschränkt war.
    Nie zuvor hatte sich eine an den höfischen Prunk gewöhnte ägyptische Prinzessin dazu gezwungen gesehen, mit schweren Rudern zu hantieren, auf die Gefahr hin, sich ihre zarten Hände zu ruinieren. Doch das Überleben des Landes stand auf dem Spiel, und die hübsche Frau dachte an nichts anderes als an das Ziel, das sie erreichen wollte.
    Der Kahn stieß an irgendetwas und schlingerte wild hin und her, doch glücklicherweise ohne zu kentern. Ahotep sah undeutlich eine dunkle Masse, die sich entfernte und dabei mit einem wilden Schlag ihres Schwanzes das Wasser aufpeitschte.
    Ein zudringliches Krokodil.
    Ohne sich einschüchtern zu lassen, ruderte Ahotep weiter. Dank ihrer scharfen Augen und dank des leuchtenden Vollmonds am Himmel konnte sie die Überreste eines Bootes und eine überwucherte und von schlafenden Pelikanen bevölkerte Insel im Strom umschiffen.
    An den Ufern machte sie verlassene Häuser aus. Die Bauern waren aus Furcht vor den Eroberern nach Theben geflohen.
    In der Ferne stieg eine Rauchsäule empor.
    Ahotep verlangsamte ihre Fahrt, steuerte das Ufer an und versteckte den Kahn in einem Papyrusdickicht, aus dem aufgeschreckte Silberreiher flogen.
    Sie befürchtete, dass die Schreie der Vögel den Feind auf sie aufmerksam machen könnten, und wartete eine Weile, bevor sie die Böschung hinaufstieg, um sich in einem verlassenen Kornfeld wiederzufinden.
    Kam der Rauch von einem in Brand gesteckten Bauernhaus oder von einem Feldlager der Hyksos? So oder so, der Feind war ganz in der Nähe.
    »He, Mädchen«, sagte eine drohende Stimme, »was machst du hier mitten in der Nacht?«
    Ohne einen Augenblick zu zögern, drehte Ahotep sich um und stürzte sich, den Feuersteindolch in der Hand, auf ihren Gegner.

2
    T ötet ihn!«, befahl Apophis, der König der Hyksos.
    Der junge Esel sah sein Ende kommen. In seinen großen unschuldigen Augen stand völliges Unverständnis. Warum brachten sie ihn um, ihn, der seit dem Alter von sechs Monaten Lasten trug, so schwer, dass sie ihm das Rückgrat verbogen, ihn, der seine unglücklichen Gefährten auf so vielen Wegen geführt hatte, ohne sich je zu irren, ihn, der stets ohne Murren gehorcht hatte?
    Doch sein Herr, ein Kaufmann von der arabischen Halbinsel im Dienst der Hyksos, hatte gerade einen Hirnschlag erlitten und war gestorben, und bei den Eroberern opferte man stets die besten Esel einer Karawane und warf ihre Eingeweide in ein Massengrab.
    Ohne sich im Geringsten um den Todeskampf des Esels zu kümmern, stieg Apophis langsam die Stufen hoch, die zu seinem Palast im Herzen der Zitadelle führten. Das Kernstück der Festung überragte die Hauptstadt Auaris, die die Hyksos in der fruchtbaren Region des nordöstlichen Deltas errichtet hatten.
    Apophis war etwa fünfzig Jahre alt und ein eiskalter Machtmensch. Er war ein großer, beleibter Mann mit stämmigen Beinen und einem feisten Gesicht, das von einer riesigen, vorspringenden Nase beherrscht wurde. Seine Stimme war rau. Sein bloßer Anblick flößte Furcht ein. Für den Moment konnte man seine
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