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Die Königin von Theben

Die Königin von Theben

Titel: Die Königin von Theben
Autoren: Christian Jacq
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der kleinen und wirtschaftlich unbedeutenden Stadt Theben, dem ›Heliopolis des Südens‹, Zuflucht gefunden hatte.
    Nach dem Tod ihres Gatten, eines machtlosen Pharaos, hatte Teti sich geweigert, die Königskrone anzunehmen und ihm auf dem Thron zu folgen. Wozu sich mit hochtönenden Titeln schmücken, die bestimmt den Zorn der Hyksos erregen würden? Wozu die Aufmerksamkeit der Feinde auf sich ziehen, die gerade damit beschäftigt waren, das Land nach Strich und Faden auszuplündern und nur noch keine Zeit gefunden hatten, die arme Provinz Theben mit dem Absatz zu zermalmen?
    Die Strategie der Königin hatte ihren Zweck erfüllt. Die Eroberer hatten die heilige Stadt Amuns vergessen; sie glaubten, dass dort nur alte, harmlose Priester lebten, die irgendwelche altmodischen Rituale ausführten. Und genau das war die Botschaft, die Teti die Kleine der neuen Hauptstadt Auaris gern übermitteln wollte, in der Hoffnung, dass die Hyksos dann die letzten freien Ägypter in Frieden sterben lassen würden.
    Welche Politik hätte sie sonst betreiben können? Die thebanische Armee war ein zusammengewürfelter Haufen unfähiger Männer, lachhaft bewaffnet. Die Ausbildung der Soldaten bestand aus einer Abfolge von grotesken Paraden, die nicht einmal mehr die Kinder unterhaltsam fanden; die Berufsoffiziere hatten jede Hoffnung verloren und begnügten sich damit, die Kasernen, in denen sie wohnten, instand zu halten.
    Bei einem Angriff der Hyksos würden Soldaten und Ordnungskräfte die Waffen strecken und sich als Zivilisten ausgeben, um dem Massaker zu entgehen. Und der Oberkommandierende, ein alter Mann, mit dessen Gesundheit es nicht zum Besten stand, würde es nicht fertig bringen, seine Truppen auch nur dem Anschein nach zusammenzuhalten.
    Von Zeit zu Zeit rief Teti die Kleine einen geisterhaften Thronrat zusammen. Dort war allen Ernstes von einem ›thebanischen Königreich‹ die Rede, zu dem – rein theoretisch – ein paar ruinierte Provinzen gehörten, denen nicht nur das politische Oberhaupt fehlte, sondern auch der Herold, der die Aufgabe hatte, die Dekrete des Pharaos zu verkünden. Niemand glaubte mehr an diesen Mummenschanz. Auf den kleinsten drohenden Wink der Eroberer hin würden die Gemeindevorsteher versichern, dass sie Theben in keiner Weise unterstützten und dass ihre Königin eine Abtrünnige sei, die die schlimmsten Strafen verdiente.
    Teti die Kleine war umringt von farblosen, unfähigen und korrupten Leuten. Sie hatte nicht einmal einen Wesir ernannt, weil sie wusste, dass dieses Amt unter den obwaltenden Umständen völlig bedeutungslos war. Nur die Ministerien für Landwirtschaft und für Wirtschaft gab es noch, sie waren von Höflingen in vorgerücktem Alter besetzt, die sich lustlos und träge einer kaum noch vorhandenen Verwaltung widmeten.
    Loyalität gab es nicht mehr, jeder dachte nur noch an sich selbst. Wundersamerweise standen die Thebaner noch zur königlichen Familie, die allerdings auf ein absolutes Minimum geschrumpft war, und unterhielten die Gebäude und den Haushalt, als weigerten sie sich, die Vergangenheit zu vergessen. Dank des unermüdlichen Qaris brauchten Teti die Kleine, ihre Tochter Ahotep und ihre nächsten Angehörigen nicht zu hungern, wenn sie auch wussten, dass ihre frugale Kost den Monarchen der glorreichen Epochen als reiner Hohn erschienen wäre.
    Die Königin weinte jeden Tag. Eingeschlossen in ihrem armseligen Palast, der immer mehr einem Gefängnis ähnelte, lebte sie in Erinnerungen und Träumen, in denen die Zukunft keinen Platz hatte.
    Teti die Kleine verbeugte sich vor dem leeren Thron, den kein Pharao mehr als Sitz beanspruchte. Horus, der kosmische Falke, hatte sich von der Erde entfernt und flog nicht mehr von seinem himmlischen Paradies herab. Das Glück der Zwei Reiche, symbolisiert durch die Einheit der Pflanzen des Nordens und des Südens, war nur noch eine Schimäre.
    Schon viele Male hatte die hübsche kleine Frau, die sich immer noch sorgfältig schminkte, obwohl die Farben und Salben für die Schönheitspflege immer knapper wurden, daran gedacht, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Wozu sollte eine Königin ohne Krone gut sein, eine Königin, die sich angesichts eines barbarischen Umsturzes als ohnmächtig erwies?
    Nur wenn sie nachts die Sterne betrachtete, kehrte ihr Lebensmut zurück. Dort, am unermesslichen nächtlichen Firmament, glitzerten die unsterblichen Seelen der zu neuem Leben erweckten Könige, die immer und ewig den Pfad des rechten
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