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Die Knochenleserin

Die Knochenleserin

Titel: Die Knochenleserin
Autoren: Iris Johansen
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bin. Ich hätte Eve die Geschichte nicht so gutgläubig abkaufen dürfen, dabei hatte ich so ein Gefühl, dass sich da irgendwas zusammenbraut …«
    »Ach was, das bildest du dir nur ein.« Er blieb an der Haustür stehen. »Eve und ich gehen ganz normal unserem Alltagstrott nach.«
    »Alltagstrott? Von wegen.« Sie folgte ihm auf die Veranda. »Du hast es plötzlich eilig, wegzukommen und dir Kistle zu schnappen, bevor Eve sich einschalten kann. Das wird ihr gar nicht gefallen, Joe. Als du verletzt wurdest, weil du ihr unbedingt nach Kolumbien folgen musstest, ging es ihr ziemlich schlecht. Bonnie war ihre Tochter, nicht deine. Sie findet, es ist ihre Aufgabe, Bonnies Leiche und ihren Mörder zu finden. Sie wird sich nicht ausschließen lassen.«
    »Hör zu«, sagte er. »Sie wird sich nicht an Kistles Fersen heften, solange ich nicht weiß, ob wir den richtigen Mann haben. Womöglich hat Montalvo bloß irgendeinen Namen aus dem Hut gezaubert.«
    Jane pfiff leise durch die Zähne. »Sieh mal einer an, wir sind ja ganz schön verbittert, habe ich recht?«
    Er warf ihr einen kühlen Blick zu. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber es stimmt, ich bin absolut verbittert. Lass uns zum Flughafen fahren.«
     
    Nur Toby kam ihr entgegen, als Eve Duncan in die Einfahrt ihres Hauses einbog. Alles war dunkel, und Janes Mietwagen stand nicht in der Einfahrt. Vielleicht war Joe ja noch in der Arbeit, aber wo steckte Jane?
    Geistesabwesend tätschelte sie dem Hund den Kopf, als sie aus dem Wagen stieg. »Hat Jane dich allein gelassen, alter Junge?« Sie ging die Stufen hinauf und öffnete die Gittertür zur Veranda. »Hast du schon was zu fressen gekriegt?«
    Toby bellte klagend.
    »Ich weiß nicht, ob ich dir glauben kann. Du frisst einfach zu gern.« Sie schaltete das Licht ein. »Außerdem bist du ein alter Schwindler.« Sie trat in die Küche. »Na gut, du kriegst eine Kleinigkeit, dann ruf ich Jane an.« Sie füllte Tobys Napf halb voll mit Trockenfutter und stellte ihn auf den Boden; dann wählte sie die Nummer von Janes Handy, es meldete sich aber nur die Mailbox. Vielleicht war sie ja im Kino oder sonst wo. Sie war schließlich hier in Atlanta aufgewachsen und hatte zu einigen alten Freundinnen noch hin und wieder Kontakt. »Okay, Toby, du hast gewonnen.« Sie schüttete den Rest aus der Packung in den inzwischen geleerten Napf. »Und danach bist du schön brav, weil ich noch an Carries Rekonstruktion arbeiten muss.« Sie ging zu der Staffelei im Arbeitsbereich am anderen Ende des Raums, auf der sich der Schädel befand. Den ganzen Nachmittag über hatte sie es kaum erwarten können, mit ihrer Arbeit an Carrie weiterzumachen. Sie war fast fertig und arbeitete immer unter Hochspannung, wenn sie kurz vor dem Moment stand, an dem ein richtiges Gesicht unter ihren Fingern erkennbar wurde. In letzter Zeit hatte sie jedoch ihre Mutter zu sehr vernachlässigt, die ihr bei ihrem letzten Telefongespräch ziemlich einsam vorgekommen war.
    Sie nahm das Tuch von Carries Schädel und legte es auf den Tisch. Nur noch ein paar Tage, dann würde sie hoffentlich nicht mehr Carrie heißen. Eve gab den Schädeln, an denen sie arbeitete, immer einen Namen, weil es ihr respektvoller erschien und ihr half, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Dieses Kind war vielleicht zehn Jahre alt gewesen, als es ermordet und im Süden Kentuckys in der Nähe der Autobahn vergraben worden war. Bei der örtlichen Polizei galt kein Kind dieses Alters als vermisst, aber wenn es ihr gelang, diesem Schädel ein Gesicht zu geben, konnte sie Carrie vielleicht nach Hause bringen.
    Vielleicht.
    So viele Kinder, die den Bestien dieser Welt zum Opfer gefallen waren, blieben für diejenigen, die sie geliebt hatten, für immer verloren.
    Nicht daran denken. Sie konnte nur das tun, was sie mit dem Talent, das Gott ihr gegeben hatte, leisten konnte. Indem sie Kinder identifizierte, konnte sie manchmal der Polizei dabei helfen, deren Mörder zu finden; manche Mörder wurden jedoch nie gefasst. Aber zumindest konnten diese Kinder dann beerdigt werden, und ihre Eltern konnten sich von ihnen verabschieden und Ruhe finden. Eve selbst war diese Chance verwehrt geblieben, nachdem ihre siebenjährige Tochter vor mehreren Jahren entführt und wahrscheinlich ermordet worden war. Sie kannte den Schmerz, den diese Eltern empfanden.
    »Komm schon, Carrie«, murmelte sie, als ihre Finger begannen, den Ton zu modellieren. Sie hatte die letzten Tage damit verbracht, die Gewebetiefe zu
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