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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
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sang
1
    Zhang Kou sang die Strophe zu Ende, dann hob er die Wasserkanne aus Blech, die er neben sich auf den Boden gestellt hatte, und trank einen Schluck Wasser, um sich die vor Trockenheit schmerzende Kehle anzufeuchten. Die Leute um ihn herum klatschten Beifall. Einige junge Männer riefen mit heiserer Stimme: »Gut gesungen, Zhang Kou, bravo!«
    Als er ihre Stimmen hörte, war ihm, als könnte er ihre staubbedeckten Körper und ihre brennenden Augen sehen. Es war bereits Spätherbst. Die Aufregung über die Knoblauchrevolte schlug keine Wellen mehr. Mehr als zwanzig verurteilte Bauern waren mit Gao Ma an der Spitze ins Arbeitslager geschickt worden. Den Parteisekretär des Kreises, Ji Nancheng, und Kreisdirektor Zhong Weimin hatte man in andere Kreise versetzt. Der neue Kreisdirektor und der neue Parteisekretär hielten Pflichtvorträge auf der Kaderversammlung des Kreises. Sie schickten außerdem die Kader des Kreisparteikomitees zu einem unbezahlten Arbeitseinsatz, um die verfaulten und stinkenden Knoblauchstengel, die in der ganzen Stadt herumlagen, in den Weißwasserfluß zu werfen, der die Kreisstadt durchfließt. Im Hochsommer hatte der Gestank der Knoblauchstengel die Stadt förmlich belagert, aber nach den ersten starken Regenfällen ließ er nach. In der ersten Zeit redete die Bevölkerung über nichts anderes als die Knoblauchrevolte. Aber im Drang der Erntearbeiten nutzte sich das Thema zunehmend ab, und das Interesse der Bevölkerung ging ebenso zurück wie der Gestank der Knoblauchstengel. Nur Zhang Kou, den man als Blinden milde behandelt hatte, saß in der Seitengasse neben der Kreisverwaltung, spielte auf seiner Geige und sang unermüdlich die Ballade von den Knoblauchstengeln im Kreis Paradies, und sein Lied wurde immer länger.
    Alle sagen, die Beamten lieben das Volk,
    warum behandeln sie uns dann als Feind?
    Noch gefräßiger als Wölfe und Tiger,
    erpressen sie Steuern und Schmiergelder.
    Die Bauern wissen nicht mehr aus noch ein.
    Sie rennen verzweifelt nach Ost und West.
    Die Leute haben den Bauch voller Grimm,
    doch wer aus Wut den Mund auftut,
    dem wird das Maul mit Elektroknüppeln gestopft.
    An dieser Stelle seines Gesangs angelangt, fühlte er Stiche in seinen blinden Augen, als ob er heiße Tränen vergießen müßte. Er erinnerte sich wieder an die schreckliche Behandlung, die er in der Untersuchungshaft erlitten und wie ihn der Polizist mit dem Elektroschlagstock mißhandelt hatte. »Stinkender Blinder«, hatte er gesagt, »halt dein Maul.« Und dann hat er mir wirklich den funkensprühenden Elektroknüppel in den Mund gesteckt. Ich spürte den Stromstoß wie Tausende und Abertausende von Stahlnadeln, die in meine Zunge, mein Zahnfleisch und meine Kehle drangen. Der unerträgliche Schmerz schlug in meinen Kopf ein und durchzuckte meinen ganzen Körper. Der Schrei, den ich ausstieß, ließ mir selber die Haare zu Berge stehen. Aus meinen seit Jahren vertrockneten Augen flossen Tränen. Ich wurde ohnmächtig.
    »Scheiße essen ist für mich kein Problem, aber den Mund halten, das schaffe ich nicht. Was ich zu sagen habe, das muß heraus. Ich, Zhang Kou, bin ein Freund der Bauern.«
    »Bravo, Großonkel Zhang Kou«, schrien einige junge Leute. »Von den sechshunderttausend Einwohnern des Kreises Paradies bist du der einzige, der seine Meinung sagt.«
    »Zhang Kou, wir wählen dich zum Kreisdirektor!« rief ein anderer im Scherz.
    Man sagt, die Beamten, die sich wie Vater und Mutter
    um das Wohl des Volkes bemühen,
    sollten von der Bevölkerung gewählt werden.
    Wieso verschwenden die Funktionäre so viel Geld?
    Das Volk ist nichts als schuftendes Vieh,
    mit seinem Blut und Schweiß
    mästet es die korrupten Beamten.
    An dieser Stelle seines Liedes knirschte Zhang Kou mit den Zähnen und betonte jedes Wort einzeln. Die Hörer waren gepackt und diskutierten aufgeregt darüber.
    »Quatsch, von wegen Volksdiener, das sind Blutsauger.«
    »Ich habe gehört, für fünfzigtausend Yüan kann man das Amt eines Kreisdirektors kaufen.«
    »Im Gästehaus der Kreisverwaltung gibt es jeden Tag ein Bankett. Allein das Essen für einen Tisch kostet schon soviel, wie wir in einem Jahr verdienen.«
    »Das stinkt nach Korruption.«
    »Ihr jungen Leute«, sagte eine altersschwache Stimme, »macht nicht soviel Worte. Bruder Zhang Kou, du erzählst auch zuviel. Die Leute, die das Kreishaus gestürmt haben, das waren für mich Helden.«
    »Lieber Bruder«, erwiderte Zhang Kou singend, »bleib stehen und
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