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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
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mußt keine Angst haben. Ich will dich nicht schlagen.«
    Voller Angst fragte Zhang Kou: »Was willst du von mir?«
    »Kannst du dich noch an den Geschmack des Elektroschlagstocks erinnern?«
    »Ich habe kein Wort gesagt.«
    »Ist das wahr?«
    »Ich bin ein Blinder, ich singe dummes Zeug, um mir das Essen zu verdienen.«
    »Ich meine es gut mit dir«, sagte der Polizist. »Vergiß nicht, du darfst das Lied von den Knoblauchstengeln nicht singen. Sonst werden wir feststellen, wer mehr verträgt, dein Mund oder der Elektroschlagstock.«
    »Ich danke Ihnen für die Belehrung. Ich habe verstanden.«
    »Wenn du verstanden hast, ist es gut. Du darfst auf keinen Fall Unfug erzählen. Ein loser Mund ist großen Unheils Grund. Das war schon immer so.«
    Der Mann drehte sich um und ging. Ein paar Minuten später hörte Zhang Kou das Knattern eines Motorrads, das aus der Seitenstraße hinausfuhr.
    Unter dem großen Baum blieb er lange reglos stehen, bis ihn die Inhaberin der Imbißbude gleich daneben bemerkte. Sie kam heraus und sagte freundlich: »Ist das nicht Großonkel Zhang? Was stehst du hier, komm rein, ich habe gerade warme Fleischklößchen fertig. Iß ein paar, ich geb sie dir umsonst.«
    Er lächelte bitter und schlug mit seinem Bambusstock auf den alten Baum ein, um dann plötzlich laut zu schreien: »Ihr seid Bestien in Menschengestalt. Ihr wollt mir den Mund versiegeln? Ich, Zhang Kou, bin schon sechsundsechzig Jahre auf der Welt. Bald reicht es mir!«
    »Wer hat dich so geärgert?« fragte die Inhaberin der Fleischklößchenbude erschrocken. »Warum bist du so wütend?«
    »Ich, Zhang Kou, bin ein blinder, armer Mann. Mein Leben ist keine fünfzig Fen wert, aber wer mich zum Schweigen bringen will, der muß erst das Urteil im Knoblauchprozeß revidieren.« Mit heiserer Stimme singend, ging Zhang Kou weiter die Seitenstraße hinunter.
    Die Inhaberin der Imbißstube schaute der mageren Gestalt des blinden Alten nach und seufzte tief.
    Drei Tage später ging ein Herbstregen nieder, der die Gasse in eine Schlammwüste verwandelte. Die Imbißwirtin stand in ihrer Tür und schaute auf das spärliche gelbe Licht der Laterne am Ende der Straße, durch das die dichten Regenschnüre tanzten. Sie fühlte sich einsam und verlassen und unendlich überflüssig und wollte gerade die Tür abschließen und sich schlafen legen, als sie plötzlich ganz deutlich den trostlosen Gesang des blinden Zhang Kou vernahm. Sie machte die Tür wieder auf und hielt nach ihm Ausschau, aber seine Stimme erstarb. Kaum hatte sie die Tür wieder zugemacht, da war die Luft aufs neue von seinem liebevollen und herzergreifenden Gesang erfüllt.
    Am anderen Morgen entdeckte man die Leiche Zhang Kous in der Seitengasse. Er lag in einer Pfütze, den Mund mit Schlamm gefüllt, und neben seinem Kopf fand man eine tote Katze, der der Kopf fehlte.
    Der Himmel war so zugezogen, daß den ganzen Tag der Übelkeit erregende Geruch der verfaulten Knoblauchstengel über der Kreisstadt hing. Die Diebe, Bettler und der andere Abschaum trugen unter Weinen und Wehklagen stundenlang die Leiche Zhang Kous durch die Seitenstraße. Gegen Abend hoben sie unter dem alten Baum ein tiefes Loch aus und legten Zhang Kou hinein.
    Von da an hörte die Besitzerin der Imbißbude Nacht für Nacht den Gesang von Zhang Kou. Die Seitengasse verwandelte sich in eine Geistergasse. Die Anwohner zogen einer nach dem anderen fort, bis auf die Wirtin, die sich eines Tages an dem alten Baum erhängte. So wurde die Gasse vollends zu einem Wohnsitz der Geister.
2
    Tante Vier ächzte und hustete die ganze Nacht hindurch. Keine von den Frauen in ihrer Zelle konnte schlafen. Die Gefangene mit dem Spitznamen »Wildes Maultier« schimpfte: »Altes Ding, stirb gefälligst ein bißchen schneller.«
    Tante Vier fühlte sich zu Unrecht beschuldigt. »Liebes Kind, ich huste und schnaufe nicht mit Absicht.«
    Das Mädchen mit den langen Augenbrauen auf dem Bett über Tante Vier murmelte: »Es ist eine Schande, Menschen in diesem Alter noch ins Gefängnis zu stecken.«
    Die Worte machten Tante Vier erst recht unglücklich. Heiße Tränen schossen ihr in die Augen, und je länger sie über das Gehörte nachdachte, desto schwerer wurde ihr ums Herz, und sie mußte heftig weinen. Gutmütige Mithäftlinge legten sich eine Jacke um und gingen zu ihr hinüber, um sie zu trösten. Hartherzige schimpften leise. Wildes Maultier sagte: »Hör auf zu heulen. Wenn du früher daran gedacht hättest, wie es im
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