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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
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Gerichtssaal wurde es vollkommen still. Die Luft schien sich mit Spannung aufzuladen und zu vibrieren. Gao Yang spürte einen schmerzhaften Druck auf dem Trommelfell. Der Vorsitzende zitterte am ganzen Körper, sein Gesicht war schweißüberströmt. Als er die Hand nach seiner Tasse ausstreckte, stieß er sie um. Der rote Tee ergoß sich über die schneeweiße Tischdecke und tropfte auf den Boden.
    »Du … was hast du vor?« fragte der Richter. »Protokollführerin, schreiben Sie alles lückenlos mit.«
    Der junge Offizier wurde blaß, ein banger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
    Lieber Bruder, betete Gao Yang innerlich, sag nicht zuviel … Plötzlich ging ihm ein Licht auf: Der junge Offizier war der Mann, der in der Nacht von Onkel Viers Tod das Maisfeld seines Vaters bewässert hatte.
    »Ich wiederhole noch einmal, was ich eben gesagt habe: Wenn eine politische Partei, wenn eine Regierung nicht für die Interessen der Volksmasse eintritt, dann hat das Volk das Recht, sie zu stürzen. Wenn ein verantwortlicher Parteifunktionär, ein Regierungsbeamter, sich aus einem Diener des Volkes in einen Herrn über das Volk verwandelt, wenn aus ihm ein auf den Köpfen des Volkes reitender Herr wird, dann hat das Volk das Recht, ihn von seinem hohen Roß zu holen. Ich bin der Ansicht, daß das nicht gegen die vier Grundprinzipien verstößt. Ich sage ja auch nur: Wenn es so wäre, dann … In Wirklichkeit ist die Kommunistische Partei eine große und korrekte Partei, die mit ganzem Herzen dem Volk dient, und durch die jüngste Konsolidierung ist sie noch leistungsfähiger geworden. Die meisten Parteimitglieder und Kader im Kreis Paradies sind in Ordnung. Aber ein einziges Körnchen Mäusekot kann einen ganzen Topf mit Reisbrei verderben. Das schlechte Verhalten eines einzigen Parteifunktionärs kann das Ansehen der Partei und die Autorität der Regierung beeinträchtigen. Die Massen verhalten sich auch nicht immer gerecht. Sie haben ihre Unzufriedenheit mit gewissen Beamten an den Beamten insgesamt ausgelassen. Aber sollte das nicht Anlaß für Parteifunktionäre und Regierungsbeamte sein, sich der Bevölkerung gegenüber so zu verhalten, daß der Ruf von Partei und Regierung keinen Schaden nimmt?
    Ich möchte auch auf die Rolle zu sprechen kommen, die Kreisdirektor Zhong Weimin beim Knoblauchzwischenfall gespielt hat. Er hat sich verkrochen und sich nicht blicken lassen. Er hat sogar aus Sorge um seine persönliche Sicherheit eine Mauer erhöhen und Glasscherben auf der Mauerkrone einzementieren lassen. Als es zum Zwischenfall kam, hat er sich trotz dringender telefonischer Bitten der Mitarbeiter der Kreisverwaltung geweigert, an Ort und Stelle mit den Massen zu sprechen, so daß es zu den großen Unruhen mit ihren schweren Folgen kam. Der Paragraph 187 des Strafgesetzbuches der Volksrepublik China sagt: ›Wenn Mitarbeiter des Staates ihren Pflichten nicht nachkommen, so daß öffentliches Eigentum und die Interessen des Staates und des Volkes schweren Schaden erleiden, so können sie zu einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden.‹ Zhong Weimin hat sich als Kreisdirektor nicht bemüht, die Sorgen der Massen zu beheben und ihre Probleme zu lösen. Er hat die Interessen des Staates nicht wahrgenommen. War das nicht ein Fall von Pflichtvergessenheit, der ein Amtsdelikt darstellt? Wenn wir davon ausgehen, daß die Menschen vor dem Gesetz alle gleich sind, müßte dann nicht die Volksstaatsanwaltschaft des Kreises Paradies auch ein Verfahren gegen Zhong Weimin wegen Vernachlässigung der Amtspflichten einleiten? Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen.«
    Der junge Offizier blieb noch einen Augenblick stehen. Dann ließ er sich erschöpft auf die Verteidigerbank sinken. Stürmischer Beifall brandete auf.
    Der Vorsitzende erhob sich und wartete geduldig, bis der Beifall verklungen war. Dann sagte er: »Haben die Angeklagten noch etwas vorzubringen? Nein. Dann unterbreche ich die Sitzung. Die Richter sind angewiesen, ihr Urteil aufgrund der hier erfolgten Tatsachenfindung nach den gesetzlichen Vorschriften zu fallen. In einer halben Stunde wird das Urteil verkündet.«

Zwanzigstes Kapitel
    Ich singe vom Mai siebenundachtzig,
    von der Revolte im Kreis Paradies.
    Von überall her kam die Polizei,
    nahm dreiundneunzig Menschen fest.
    Ob tot oder verhaftet – wann wird
    das Volk endlich den blauen Himmel sehen?
    Aus einer Ballade, die Zhang Kou in einer
Seitengasse westlich der Kreisverwaltung
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