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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
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er fort: »Gemäß Artikel zwei, Absatz eins, Paragraph einhundertdreizehn der Strafprozeßordnung der Volksrepublik China haben die Betroffenen das Recht, gegen die Mitglieder der Strafkammer, die Protokollführerin und den öffentlichen Ankläger einen Befangenheitsantrag zu stellen. Jeder Angeklagte hat das Recht, sich selber zu vertreten.«
    Von dem, was der Vorsitzende sagte, verstand Gao Yang nur wenig. Er war sehr aufgeregt. Sein Herz klopfte mal schneller, mal langsamer, und er spürte einen Druck auf der Blase, obwohl er wußte, daß sie leer war. Er zappelte hin und her, um den Druck zu verringern, bis ihn die Polizisten anschnauzten, er solle still stehen.
    »Wird ein Befangenheitsantrag gestellt?« fragte der Vorsitzende matt. »Kein Antrag? Gut, dann erteile ich jetzt dem Ankläger zur Verlesung der Anklageschrift das Wort.«
    Der öffentliche Ankläger erhob sich. Er hatte eine gepreßte Stimme, die scharf und dünn war. Man konnte hören, daß er kein Einheimischer war. Fasziniert beobachtete Gao Yang, wie schnell sich die Lippen des öffentlichen Anklägers bewegten, wunderte sich über dessen gerunzelte Augenbrauen und vergaß allmählich, daß er eigentlich austreten mußte. Was der öffentliche Ankläger vorlas, verstand er kaum, aber er gewann den Eindruck, daß es in der Anklageschrift nicht um seine Person ging.
    Der Vorsitzende stellte seine Tasse ab und sagte: »Wir beginnen nun mit der gerichtlichen Vernehmung. Angeklagter Gao Ma, hast du am Vormittag des 28. Mai laut reaktionäre Losungen gerufen und die Massen angestiftet, die Kreisverwaltung zu verwüsten?«
    Gao Yang schielte nach Gao Ma, der in einer anderen Anklagebox stand und den Blick auf die Decke des Saals gerichtet hatte, an der sich langsam ein Ventilator drehte.
    »Angeklagter Gao Ma, hast du die Frage des Gerichts verstanden?« fragte der Vorsitzende mit Nachdruck.
    Gao Ma senkte den Kopf und blickte dem Vorsitzenden direkt in die Augen. »Ich hasse euch.«
    »Du haßt uns? Weshalb?« sagte der Vorsitzende mit sarkastischem Lächeln. »Wir richten uns nach den Tatsachen und den gesetzlichen Vorschriften. Wir verurteilen keinen Unschuldigen und lassen keinen Schuldigen laufen. Ob dir das paßt oder nicht, spielt keine Rolle. Ich rufe den ersten Zeugen auf.«
    Der erste Zeuge war ein junger Kerl mit heller Haut. Während seines Auftritts im Zeugenstand knetete er unaufhörlich einen Zipfel seiner Jacke.
    »Zeuge, wie heißt du und wo arbeitest du?«
    »Ich heiße Wang Jinshan und bin Fahrer in der Kreisverwaltung.«
    »Zeuge Wang Jinshan, du mußt hier wahrheitsgemäß aussagen. Wenn du falsch aussagst, wirst du strafrechtlich verfolgt. Ist das klar?«
    Der Zeuge nickte. »Am Vormittag des 28. Mai brachte ich Gäste des Kreisdirektors zum Bahnhof. Auf der Rückfahrt wurde ich fünfzig Meter östlich der Kreisverwaltung aufgehalten. Ich sah den Verbrecher Gao Ma auf einem Ochsenkarren stehen. Er schrie: ›Nieder mit den korrupten Beamten! Nieder mit der Bürokratie!‹«
    »Der Zeuge ist entlassen«, erklärte der Vorsitzende. »Gao Ma, hast du dazu etwas zu bemerken?«
    »Ich hasse euch«, sagte Gao Ma kühl.
    Die gerichtliche Vernehmung dauerte lange. Gao Yangs Beine zitterten schon vom Stehen, und ihm war schwindlig. Als der Vorsitzende sich an ihn wandte, sagte er: »Beamter, ich habe schon alles ausgesagt. Bitte stellen Sie mir keine Fragen mehr.« Mit feuchter Aussprache erwiderte der Vorsitzende: »Das ist eine gesetzliche Vorschrift, von der wir nicht abweichen können.«
    Anscheinend hatte aber auch er von der Vernehmung genug, denn er stellte nur flüchtig ein paar Fragen und erklärte dann: »Die gerichtliche Vernehmung ist abgeschlossen. Jetzt hat die Anklage das Wort.«
    Der öffentliche Ankläger machte nur ein paar kurze Bemerkungen und nahm wieder Platz.
    »Jetzt bitte ich die Verletzten vor Gericht.«
    Drei Personen mit bandagierten Händen traten vor.
    »Die Verletzten haben das Wort.«
    Die Verletzten plapperten und plapperten, aber schließlich gingen auch ihnen die Worte aus.
    »Angeklagte«, fragte der Richter, »habt ihr noch etwas vorzubringen?«
    »Beamter«, rief Tante Vier, »mein Mann ist umgebracht worden. Ein Menschenleben, zwei Rinderleben, ein Wagen – für das alles hat uns Parteisekretär Wang nur einen Schadenersatz von dreitausendfünfhundert Yüan geleistet. Beamter, mir ist unrecht geschehen.« Tante Vier schlug mit der Hand auf die Brüstung und weinte.
    Der Vorsitzende runzelte die Stirn.
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