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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte
Autoren: Mo Yan
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höre mein Lied an.«
    Er hatte den Satz noch nicht beendet, da hörte er, wie sich einige Leute von außen brüllend in die Menschenmenge drängten. »Wieso versammelt ihr euch hier? Ihr behindert den Verkehr, ihr stört die Ordnung. Geht auseinander! Weg von hier!«
    Zhang Kou erkannte in dem Gebrüll die Stimmen der Polizisten, die ihn gefoltert hatten. Er ließ seine Hand über die Saiten der Geige gleiten und sang:
    Es war eine Frau von schöner Gestalt,
    mit praller Brust und schmalem Spalt,
    ihr Gang war wie ein Weidenzweig im Wind,
    die jungen Männer folgten ihr geschwind.
    »Zhang Kou, singst du schon wieder unanständige Lieder?« fragte der Polizist.
    »Beamter, Sie dürfen das nicht so ernst nehmen. Ich bin ein Blinder. Ich lebe nur von meinem Mund. Das kann doch kein Verbrechen sein.«
    Ein junger Mann warf ein: »Onkel Zhang Kou hat den ganzen Nachmittag gesungen. Jetzt ist er müde. Er hat eine Pause verdient. Spendet alle etwas Geld. Zehn Yüan wäre nicht zuviel, ein Fen wäre nicht zuwenig. Wir sammeln für ihn, damit er sich ein paar Fleischklößchen leisten kann.«
    Zhang Kou hörte, wie Münzen und Scheine vor ihm auf den Boden geworfen wurden, und er sagte immer wieder: »Danke schön, ich danke euch allen.«
    »Onkel Polizist, Sie werden vom Staat ernährt und haben das meiste Geld. Seien Sie großzügig und haben Sie Erbarmen mit einem blinden alten Mann.«
    »Ein Furz. Seit wann haben wir Geld?« sagte der Polizist ärgerlich. »Für ein ganzes Jahr harte Arbeit bekommen wir weniger, als ihr an einem Morgen Knoblauch verdient.«
    »Wie kommen Sie nur auf Knoblauch – nächstes Jahr soll Knoblauch pflanzen, wer will.«
    »Halt! Stehenbleiben!« rief der Polizist. »Was soll das heißen?«
    »Was das heißen soll? Gar nichts. Ich pflanze keinen Knoblauch mehr. Ich werde Opium anbauen«, erklärte der junge Mann wütend.
    »Opium anbauen? Wieviel Köpfe hast du auf den Schultern?« fragte der Polizist.
    »Einen. Ich gehe lieber auf der Straße betteln als Knoblauch pflanzen.« Der junge Mann entfernte sich.
    »Bleib stehen! Wie heißt du? Aus welchem Dorf bist du?« Der Polizist nahm die Verfolgung auf.
    »Lauf schnell, die Polizei will wieder Gefangene machen!« rief ein Mann laut. In der Menschenmenge brach ein chaotischer Lärm aus, wie ein Wespenschwarm stob alles auseinander.
    In der Umgebung Zhang Kous wurde es sofort ruhiger. Seine Zuhörer verschwanden so spurlos wie Fische, die ins tiefe Wasser schwimmen. Nur der Schweißgeruch ihrer Körper hing noch in der Luft.
    Von ferne ertönten ein Trompetensignal und das Geschrei einer Kinderschar, die aus der Schule strömte. Die im Westen niedergehende Herbstsonne schien warm auf seinen Körper. Er packte seine Geige und sammelte tastend die Münzen und Geldscheine auf, die ihm die Leute hingeworfen hatten. Als er einen Zehn-Yüan-Schein berührte, zitterten seine Finger unkontrollierbar. Ein Gefühl der Dankbarkeit für den Unbekannten, der ihn so reich beschenkt hatte, erfüllte sein Herz.
    Er nahm den Bambusstock in die Hand und ertastete sich auf der unebenen Gasse seinen Weg in Richtung Bahnhof. In der Nähe des Bahnhofs gab es ein altes Lagerhaus, das den Obdachlosen als Unterkunft diente. In einer Ecke dieses Lagerhauses hatte Zhang Kou seinen festen Platz.
    Seitdem er von der Polizei, die ihn so schwer gefoltert hatte, wieder entlassen worden war, stand er unter dem besonderen Schutz der Diebe, Bettler und Wahrsager, dieses Abschaums der Gesellschaft. Die Diebe hatten für ihn mehrere Schilfmatten und einige Ballen Baumwolle gestohlen und ihm daraus ein weiches Lager bereitet. Und die Bettler teilten mit ihm ihr Essen, das sie sich erschnorrt hatten. In den Tagen, die seine Verletzungen zum Ausheilen brauchten, wurde er von diesen Leuten betreut, und er lernte ihre Wärme und Aufrichtigkeit schätzen. Seine Anteilnahme an den Menschen der unteren Schichten trieb ihn dazu an, aller persönlichen Gefahr zum Trotz immer wieder laut die Ballade von den Knoblauchstengeln vorzutragen, um gegen die ungerechte Behandlung der Bevölkerung zu protestieren.
    Als er bis zu dem alten Baum in der Mitte der Seitengasse gekommen war, von dem der Duft verwelkter Blätter ausging, registrierte er alarmiert den Geruch von Metall und Rostschutzöl. Gleich darauf legte sich eine harte Hand auf seine Schulter. Er zog in Erwartung eines schweren Schlages den Kopf ein und machte den Mund fest zu. Aber der Mann kicherte wohlwollend und sagte leise: »Du
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