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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Autoren: Helmut Krausser
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zu lieben. Daß sie stets etwas für sich behalten und ihn, ihren Gatten vor Gott, stets etwas abschätzig behandelt hatte, daran, und an alles daraus resultierende Leiden, versuchte er nun nicht zu denken, als sei der Gedanke dem Anlaß nicht angemessen.
    Pancrazios Sehkraft hatte in den letzten Jahren stark nachgelassen. Die linierten, eng beschriebenen Zettel auf dem Fensterbrett landeten zuerst im Papierkorb, dann, mit einem heftigen Schnaufen, als werde er von etwas dazu gezwungen, holte der Greis sie wieder hervor. Einer der Bestattungsgehilfen, ein noch ganz junger Mensch von kaum achtzehn Jahren, darum gebeten, entzifferte mit viel Mühe den ersten Satz, was beinahe sechzig jahre lang so schwer auf meiner seele lag, mit mir nun umzubetten in mein grab, es für immer in sicherheit zu bringen, es wegzusperren unter zwei meter tiefe erde und einen eichenen sargdeckel, wäre sicher konsequent.
    Vom Tonfall jener Zeilen eigenartig berührt, schloß der junge Mann, statt weiterzulesen, die Augen. Offensichtlich handelte es sich um etwas, das ihn nichts anging.
    Pancrazio nahm ihm den Zettel aus der Hand. Eichener Sarg? Wunschdenken, bloßes Wunschdenken. Es sei schon gut, er habe immer alles gewußt, wie könne sie angenommen haben, er hätte nicht? Seinen letzten Brief habe sie immer behalten, er liege im Wäscheschrank, zwischen Bettzeug versteckt. Der junge Mann verstand kein Wort, wagte aber nicht zu fragen, was gemeint sei. Pancrazio küsste die Lippen der Toten und bat den Bestattungsgehilfen, gut für sie zu sorgen, was dieser stumm, nur mit einem Nikken, versprach. Später, nachdem er mehr Bier getrunken hatte, nach den ersten drei Stunden der letzten Einsamkeit, ging der Greis zum Wäscheschrank und zog den Brief aus seinem Versteck.
     
    Ich bitte dich, sei vernünftig. Ich werde nicht über juristische Mittelsmänner mit dir verhandeln. Wie kanst du so tief gesunken sein, meine Briefe an Dritte weiterzugeben? Gegebenenfalls hätte ich direkt mit dir verhandelt. Wir müssen uns einigen. Wenn du willst, kannst du uns beide zugrunde richten. Aber wozu? Du hast noch Dein ganzes Leben vor Dir.
    Jetzt, da Dein Vater verurteilt wurde, wird man Dir wenig Glauben schenken, aber mir ist nicht daran gelegen, Dir Schaden zuzufügen. Laß uns beide erhobenen Hauptes aus der Sache herausgehen. Denk an die schöne Zeit, die wir hatten. G.
    Pancrazio verbrannte den Brief, obwohl er zuerst daran dachte, ihn seiner toten Frau in den Sarg legen zu lassen. Nur der Gedanke, dies könne wie ein Vorwurf wirken, brachte ihn von der Idee wieder ab. Während das fleckige, bereits angegilbte Papier aber brannte, stellte er an sich eine enorme Erleichterung fest, genau wie damals, als die Zeitungen meldeten, G. sei gestorben. Maria hatte damals geweint, ihre Tränen vor ihm zu verbergen versucht. Jetzt würde niemand je ahnen … Nein, es war gut und tot, nicht nur sie, auch das . Besser so.

2
    1904
    Mit weit ausholenden, behutsamen Ruderschlägen, die kaum ein Geräusch verursachen, lenkt der Jäger das Boot in tieferes Wasser. Es ist Ende November, kühl und windstill, und während in Ufernähe Reste gestaltloser Nebel zerflocken, legt sich das taufeuchte Schilf, so empfindet es der Jäger und muß lächeln, die erste Schicht Glanz auf, mädchenhaft eitel, zugleich dezent, als dürfe im Moment mehr nicht gewagt werden, müsse es auch nicht. Vom Bug des Bootes aus verlieren sich Kreise im See, flüchtige Verwerfungen einer sonst reglosen Spielfläche einfallender Lichtstrahlen, Kupferschlangen, die sich nach und nach in Goldfäden verwandeln.
    Der Morgen dämmert über dem Massaciuccoli-See. Rosa- und Rottöne blühen, Schatten schälen sich ab von den Dingen. Die Villa auf der Landzunge beginnt zu leuchten, wie im fernen Hintergrund die Berge, bald darauf wird am Horizont die Dorf-Exklave sichtbar, nicht mehr als zwölf Häuser im Dunst. Eine Ente flattert auf. Der Jäger reißt sein Gewehr hoch, drückt ab. Der Schuß zerreißt die Stille, nebenbei auch die Ente, doch statt zerrissene Stille wiederherzustellen, glattzubügeln durch Gleichmut und Diskretion, fliegen in der nächsten Sekunde weitere zwanzig Enten los aus dem Schilf. Der Jäger verschießt die zweite Schrotpatrone, zieht aus dem Koppel einen Revolver und feuert dessen Trommel leer. Erregt lädt er nach, greift zu den Rudern, sie klatschen laut ins Wasser. Jetzt fängt es an zu blinken und zu schillern auf dem See, und im Röhricht zirpt und pfeift es.
    Der Jäger
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