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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Autoren: Helmut Krausser
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greift in totes Gefieder, erntet die Beute ab.
    Eine der Enten, rücklings auf dem Wasser treibend, was berührend menschlich, fast komisch wirkt, bewegt noch die Flügel, sehr langsam, mit letzter Kraft. Die schönste Zeit des Tages geht vorbei.
    Der Jäger. Ein stattlicher, nicht allzu groß gewachsener Mann von bald sechsundvierzig Jahren, mit kaum ergrauten Schläfen, gepflegtem Schnurrbart und braunen Augen, die stets leicht schläfrig wirken oder traurig. Gekleidet in eine Art soldatischen, sandfarbenen Baumwolldrillich, das rechte Bein lang ausgestreckt, dreht er der Ente den Hals um und zündet sich eine Zigarette an. Lange ruht sein Blick auf dem glitzernden See, wandert zum Motorboot am Steg, zum Garten der Villa, wo zwei Dienstmägde Wäsche von den Seilen nehmen. Puccini stopft die erlegten Enten in einen Strohsack und rudert ans Ufer. Zwei Burschen stehen bereit und helfen ihm aus dem Boot. Mit Krücken auf schwankendem Grund aufzustehen, traut er sich nicht zu. Bald wird es regnen.

3
    1924
    Beinahe auf den Tag genau zwanzig Jahre später. Erwachen. Erster Gedanke: Es kann das letzte Mal sein, daß ich je erwache. Ledoux hat die Operation als relativ unkompliziert geschildert, aber Ärzte müssen so was sagen, und relativ ist ein scheußliches Wort, ich habe ein scheußliches Gefühl, kann nicht sprechen, von Apparaturen gefesselt. Die Oper! Gibt es einen Gott, läßt er sie mich fertigschreiben, gibt es keinen, gibt es auch keine Hölle. Wahrscheinlich gibt es gar nichts. Gar nichts. Besser so?
    Der Kranke, der ob des künstlichen Atemwegs am Hals leise röchelt, versucht sich aufzurichten, sieht sich um. Die Brüsseler Klinik besitzt einen hervorragenden Ruf, wie jeder zweite Satz der eintreffenden Briefe betont. Sybil war da und konnte meinen Anblick schwer ertragen, sie ist wieder nach London gefahren, wohl, um damit Zuversicht auszudrücken. Sie muß sich ja um ihren kranken Esmond kümmern, sagt sie und spielt dies hier bravourös herunter. In ihrer ganz eigenen, taktvollen Art. Und Elvira kann nicht kommen, wegen einer Grippe. Naja, so geht es dahin mit der gloria mundi. Aber die Oper? Der ganze Schluß sitzt fertig in meinem Kopf, wie eine Vereiterung der Stirnhöhlen, die nicht hinaus will.
    Das riesige Zimmer, mit Travertinfußboden, wirkt morbid, beinahe wie ein Raum der Pathologie. Muffige Braun- und Gilbtöne im Licht. Stoffjalousien vor den Fenstern. So viele Blumen im Vorzimmer.
    Dr. Ledoux tritt ein. Nimmt dem Patienten Stift und Blatt aus der Hand. Puccini schüttelt energisch den Kopf, gibt zuletzt nach. Sein Gekritzel hat kaum jemand lesen können, als er noch gesund gewesen war. Von den illustren Kollegen habe nur Beethoven eine ähnlich ›ungezähmte‹ Handschrift besessen, wie ein gutmeinender, deshalb nicht minder verzweifelter Setzer es einmal mit aller angesparten Höflichkeit ausgedrückt hat. (Das Verlagshaus Ricordi leistet sich eigens einen Angestellten, Carlo Chiusuri, der mit nichts anderem beschäftigt ist, als Puccinis Partituren zu entziffern.)
    Seien Sie guten Mutes!
    Dr. Ledoux spricht dürftiges Italienisch; Giacomo versteht, er solle gutmütig sein . Bin ich. Eigentlich. Oft zu meinem Schaden.
    Der Arzt fühlt den Puls des Patienten. Hört mit einem eiskalten Stethoskop dessen Herzschlag ab. Puccini sinkt aufs Kissen zurück.
    Hört sich alles gutmütig an, behauptet Ledoux mit diesem Arztlächeln, das in südlicherer Währung einer Krokodilsträne entsprechen dürfte.
    In einer Stunde, sagt er, setzen wir die Spritzen. Operation dann um fünf.
    Puccini nimmt den Block und schreibt: Tonio .
    Dr. Ledoux nickt. Winkt einer Schwester, die den Patienten waschen soll. Die hübscheste im Haus.
    Es wird alles glattgehen, Papa.
    Tonio ist siebenunddreißig Jahre alt. Mein Gott, denkt Puccini, siebenunddreißig und gesund sein, welche Gnade. Ich hätte mehr draus machen müssen. Immerhin, ich habe ein bißchen draus gemacht, und beinahe sechsundsechzig ist ein Alter, um das man leidlich froh sein muß. Glattgehen wird gar nichts. Tonio verspricht zuviel, jetzt. Früher hat er nie so viel versprochen, aber gut, das ist so, der Apfel fällt oft weit vom Stamm.
    Puccini deutet auf die Skizzenblätter zum Finale der Turandot , will danach greifen.
    Ich hab es schon durchgesehen. Ganz zauberhaft! Gurrt Tonio, obwohl er weiß, daß sein Urteil wenig gilt, eigentlich nichts. Er kann die Noten kaum entziffern, redet, wie man zu Kranken eben redet, wie zu Kindern.
    Puccini formt
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