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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Autoren: Helmut Krausser
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überhaupt sagen? Niemand wird je wissen, wie sehr ich gelitten habe, ausgerechnet ich, den alle glücklich und einen Götterliebling nennen. Erschossen habe ich Enten – und wollte doch mich … Weiß Gott, ich habe oft darüber nachgedacht, hatte manchmal den Finger am Abzug. Dieser Morgen, die Melodie, das Licht. Die Hoffnung. All meine Musik – Turandot … Es ist egal, für wen und warum … Müssen wir schon?
    Ledoux setzt die Spritzen. Mit dem Lächeln eines Arztes.
    Seien Sie gutmütig!
    So einfach geht der Glanz vorüber.
    Ich will …

4
    1902
    Puccini, meint Tito, mit Gift in der Stimme, sei der klassische Fall des Künstlers, der zu früh zuviel bekommen habe. Das tue niemandem gut, die allermeisten Seelen würde es zerstören. Jetzt sei er zwar noch nicht vollends zerstört, aber verbraucht, abgeschliffen. Gäre im eigenen Saft. Das sei klar.
    Giulio gibt sich erstaunt. Ach, klar sei das? Nun, nun … Warum er so über ihn rede? Warum?
    Das Verlagshaus Ricordi in Mailand, dank der Opern Rossinis und Verdis zu sagenhaftem Reichtum gelangt, den Puccinis Welterfolge Manon Lescaut, La Bohème und Tosca noch ausgebaut haben, müßte nach wirtschaftlichem Ermessen kein Ort übertriebener Sorge, sinistrer Ahnungen sein. Ganz und gar nicht.
    Giulio Ricordi, ein klug und würdevoll wirkender Mann, geht langsam auf die Siebzig zu. Im Aussehen dem greisen Verdi, dem vor kurzem verstorbenen Freund, mit voller Absicht nicht unähnlich, kann er auf ein mindestens ebenso erfolgreiches Leben zurückblicken. Sein Verlag hat in Italien praktisch ein Monopol inne; nur von ihm Zurückgewiesene versuchen bei Sonzogno unterzukommen, danach für immer als zweitklassig gebrandmarkt.
    Und doch. Man hat Giulio zu Furcht und Vorsicht erzogen. Sein Vater bleute ihm, auf der Grundlage humanistischer Bildung, das Beispiel des untergegangenen römischen Reiches in die Seele ein, als schlimmstmögliche Katastrophe für die Zivilisation, von daher kann Giulio das heutige Königreich Italien nur als schattenhaften Abglanz des einstigen Imperiums betrachten, ständig auf der Hut vor neuen Symptomen der Hybris und Dekadenz. In seinem Büro, einem kleinen Prunksaal, geschmückt mit rotsamtenen Wandbehängen und reproduzierten Büsten der zwölf Cäsaren, Inbegriffen von Macht und Verfall, sitzt ihm der bald vierzigjährige Sohn und designierte Nachfolger Tito gegenüber, das Gespräch mündet schnell in eine Art Krisengipfel.
    Es geht nicht um ihn , Vater. Es geht – ausnahmsweise, ja? – um mich . Und um das Haus Ricordi. Wenn ich irgendwann einmal unseren Verlag übernehme, verzeih die klaren Worte …
    Oh, das sind überaus klare Worte!
    Will ich nicht mit abgehalfterten Komponisten hausieren gehen. Ich brauche junge Kräfte. Meine Entdeckungen. Aber du zerstörst alle Talente, die ich dir bringe, mit einem Achselzucken.
    Giulio wirkt nicht überzeugt. Talente, meint er süffisant, die sich von einem Achselzucken zerstören ließen, könnten per se nicht viel taugen.
    Tito, ein fast schon kahlköpfiger Mensch von kraftstrotzender Physis, schnaubt aufbegehrend. Diese Butterfly werde, jede Wette, eine Katastrophe. Das könne der gesunde Menschenverstand voraussagen.
    Will er behaupten, mir sei mein gesunder Menschenverstand abhanden gekommen? Wie wütend er ist. Giulio faltet die Finger vor der Unterlippe, unterbricht den Sohn aber nicht.
    Exotisches Gedudel, brutal, geschmacklos, mit über die Geduldsufer tretenden Längen. Sentimental und obszön. Puccini sei faul geworden, eitel, sei nicht mehr hungrig. Ein geiler, genußsüchtiger Gockel , egomanisch, hypochondrisch, depressiv, wehleidig.
    Es folgen noch einige andere Adjektive, leider kein so hübscher Stabreim mehr wie geiler genußsüchtiger Gockel. Giulio läßt seinen Sohn wüten, bis der sich abreagiert hat.
    Es ist schon was Wahres dran, Giacomo müßte endlich eine große, ernste Oper schreiben, mit einem erhabenen, meint, über alle Zweifel erhabenen Sujet, von historischer Dimension und tragischer Wucht, ohne effekthascherisches, hypermodernes Beiwerk. Ohne aufreizende Tricks. Marie Antoinette, die unglückliche Königin, wäre ein solcher Stoff.
    Du hast gar nichts darauf zu sagen, Papa?
    Giulio blickt auf, bemerkt erleichtert, daß Tito eine Pause gemacht hat. Giulio zwinkert schalkhaft und zählt alle Opernhäuser auf, die an der Butterfly bereits heftiges Interesse gezeigt hätten. Buenos Aires, London, Rom.
    Die hätten eben, meint Tito, einen Sack voll toter Katze
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