Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
Vom Netzwerk:
sich die edlen Damen zu, im selben Tonfall, in dem sie
    «eine Hure» gesagt hätten, und wedelten schockiert mit ihren Fächern. Und der Kerl da neben ihr, das ist ihr Mann, ein Gemeiner, das sieht man ja, sogar ein Ausländer, wie es heißt, drei Bastarde hat sie mit ihm, die da, das sind nur die beiden Ältesten. Weit ist es gekommen mit dem Mädchen, kein Wunder, dass die Mutter jetzt im Grab liegt, nach der Geschichte mit der anderen Tochter, schrecklich! Ein Glück für den armen Vater, dass er wenigstens noch die beiden jüngeren Kinder hat, sie sind ja sein ganzer Stolz, ein prächtiger Bursche, fürwahr, und die Tochter hat wahrlich eine gute Partie gemacht mit dem jungen Mauvent.
    Der prächtige Bursche stand neben dem armen Vater, hochgewachsen, schmal und bleich in seinem dunklen Rock, ungeheuer erwachsen mit dem Degen an seiner Seite, die Stütze der Familie, der Erbe von Castelblanc; kaum etwas an diesem jungen Kavalier erinnerte in diesem Moment an den frechen kleinen Frederi Jùli, der mir in unserer Kindheit Tinte in die Stiefel gefüllt hatte. Neben ihm hing Maria Anno am Arm ihres frisch angetrauten Baron de Mauvent. Die Tränen hatten ihre Schminke verwüstet, sie war ja noch ein halbes Kind, das an seiner Mutter hing, gerade sechzehn Jahre zählte sie zu jener Zeit. Mutter hatte aus den schlechten Erfahrungen der Vergangenheit gelernt und diesmal nichts dem Zufall überlassen, was die Verheiratung ihrer Tochter betraf, und der junge Mauvent war ein Schwiegersohn nach jeder Mutter Geschmack – artig, gutaussehend, mit einem reichen Erbe ausgestattet und auch noch schrecklich verliebt in das fromme Mädchen, und vor allem furchtbar normal, furchtbar nobel und bar jeder Überraschung. Brav tätschelte er die Hand seiner schluchzenden jungen Gattin, brav murmelte er mit ihr zusammen das Ave Maria, du bist 15
    gebenedeit unter den Weibern, und der Priester sprach den Segen, und die Hände gingen zum Kreuz an die Stirn, und vielleicht war da eine Träne in Catarinos stolzen Augen und kullerte unbemerkt ihre Wange hinunter.
    Frederi schien von all dem nichts mitzubekommen.
    Über Nacht war mein Stiefvater zum Greis geworden. Gebeugt, mit fahlem Gesicht und müden roten Augen stand er am Grab und starrte auf den kunstvoll geschnitzten hölzernen Deckel des Sarges herab, blind und taub für die Menschen ringsumher und ihre Gespräche. Als der Priester geendet hatte und die Gesellschaft dem Ausgang und dem dringlich ersehnten Totenmahl entgegen strebte, blieb er am offenen Grab stehen, seine Hand um Frederi Jùlis Arm geklammert, und seine Lippen bewegten sich in lautlosem, verzweifelten Gebet. Wir traten auf sie zu, begrüßten Maria Anno und den etwas unangenehm berührten Baron de Mauvent. Frederi Jùli umarmte mich mit jener vertrauten linkischen Bewegung, die von seinem steifen Schultergelenk herrührte, ein Überbleibsel jenes seltsamen Tages am Rande des Grand Lubéron, an dem er mir einst das Leben rettete. In seinem Lächeln lag echte Wiedersehensfreude; bedingt durch die politischen Unwegsamkeiten der Zeit war es schon ein paar Monate her, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Vater, sieh nur, Fabiou und Catarino sind hier, sagte er. Frederi hob den Kopf. Lange ruhte sein leerer Blick auf mir, dann wanderte er zu Catarino. Und dann, auf einmal, schossen Tränen in seine Augen, und zum blanken Entsetzen der verbliebenen Edelleute umarmte er erst mich, dann Catarino und zuletzt meinen Schwager und küsste die Kinder auf die Stirn. «Meine Kinder», schluchzte er, «meine Kinder.»
    Seit jenem schicksalhaften Jahr 1558 hatte ich Catarino nicht mehr weinen sehen. «Ich dachte, Ihr hasst mich», schniefte sie.
    «Hassen? Dich? Euch?» Frederi lachte auf, und das Lachen war trauriger als seine Tränen. «Wie könnte ich euch hassen», sagte er, «ihr seid alles, was von ihm übrig geblieben ist… Es tut mir leid», flüsterte er dann, «ich weiß, ich habe unrecht gehandelt, aber ich habe sie doch so geliebt… ich habe sie doch beide so sehr geliebt…»
    16
    Es gibt keinen Grund für Hass und für Vorwürfe. Mutter hatte leben wollen, das war kein Verbrechen. Und was Frederi betraf, so war der Grund für sein Handeln der menschlichste und edelste überhaupt gewesen.
    Die Liebe.
    Der Priester von Oppède erzählte mir einmal, als ich vor Jahren Mutters Grab besuchte, wenige Wochen nach ihrer Beerdigung haben zwei fremde Herren die Kirchstatt besucht. Der eine, ein hellhaariger junger Herr im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher