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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
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der Vergangenheit kreuz und quer durch ganz Europa geführt; und ich hatte zunächst in Aix und später in Bologna und Heidelberg die Rechte studiert. 1563 war ich nach Aix zurückgekehrt, hatte dort meine Arbeit als Advokat aufgenommen und mir in allerkürzester Zeit einen Ruf erworben, der dem meines Vaters in nichts nachstand. In ebenso kurzer Zeit, nach wenigen Monaten nur, hatte ich einen Ehrenplatz auf Duran de Pontevès’ Todesliste. Es waren absurderweise die Carcisten, die mir das Leben retteten und verhinderten, dass ich in jenen Tagen wie unzählige andere an der Pin de Genas endete, denn wenn ich auch der Inbegriff eines Ketzerfreundes war, so vergaß Jean de Pontevès mir dennoch nie, was ich für die Ehre der Bruderschaft getan hatte. Die Liebe zwischen den Brüdern Pontevès war aufgrund der Ereignisse in Aix auf einem Tiefpunkt angelangt, und ein Gnadengesuch des Carcès hätte Konsul Pontevès somit wohl kaum dazu bewogen, mich am Leben zu lassen, weshalb man mich schließlich bei Nacht und Nebel aus der Stadt schmuggeln ließ. In den Jahren, die folgten, verschlugen die Kriegswirren mich nach Arle, wo mein Schwager und meine Schwester sich mittlerweile mit ihrer Theatertruppe niedergelassen hatten. Es waren gefährliche Zeiten, Zeiten des Krieges und der Rechtlosigkeit, und mehr als einmal brachte mich mein Einsatz für einen Mandanten, der der falschen Religion angehörte, in eine kritische Situation. Doch so viele Feinde ich auch hatte, so sicherte mir meine Rolle in jener seltsamen Geschichte von 1558
    den Schutz einiger einflussreicher Mitglieder der Liga, ebenso wie 13
    sie mir die Gunst einiger hochgestellter Persönlichkeiten auf Seiten der Protestanten verschaffte. Niemand wagte es, uns anzutasten in all diesen Jahren, so sehr uns manche gehasst haben werden. Das ist unser Kapital, und das ist unsere Rache. Die Mächtigen unserer Zeit hatten unsere Familie zerstören können, aber sie konnten uns nicht daran hindern, unser Leben so zu führen, wie wir wollten. Sie natürlich war nicht zu der Beerdigung gekommen. Ich hatte sie brieflich über den Tod meiner Mutter in Kenntnis gesetzt, aber keine Antwort erhalten. Sie, die ich meine Freundin nenne, denn wie sonst sollte ich sie nennen, alle anderen Verbindungen zwischen uns sind Vergangenheit. Am Tag der Beerdigung fehlte sie erwartungsgemäß in der Trauergemeinde, zur großen Erleichterung vieler Familienmitglieder, die nicht wussten, was sie an ihr am skandalösesten finden sollten: ihre Nähe zu den Protestanten oder ihren schockierenden Lebenswandel. Insbesondere Onkel Philomenus und dem guten Vetter Theodosius fiel ein Stein vom Herzen, obwohl sie nicht müde wurden, ihre Missbilligung über ihre unerhörte Abwesenheit zu bekunden.
    Zu dieser Zeit war sie meines Wissens irgendwo in der Gascogne in einem der Rückzugslager der Protestanten, wo sie in einem Feldlazarett arbeitete. Der Krieg, so unheilvoll er ansonsten war, hatte ihr endlich erlaubt, unter ihrem wirklichen Namen ihren Beruf auszuüben, denn wer konnte unter den gegebenen Umständen so wählerisch sein, jemanden mit ihrer Befähigung abzulehnen. Bis 1572 war sie in Paris gewesen, doch die Ereignisse von St. Bartholomé zwangen sie und ihre Familie wie so viele andere zur Flucht. Also schloss sie sich ihrer Schwester und Sébastien an, die nun, da der alte Couvencour dem Gemetzel jener Nacht zum Opfer gefallen war, den Protestanten in die Berge folgten. Ihre Bleibe war unregelmäßig, ich erfuhr nie, ob mein Brief anlässlich Mutters Tod sie zu spät erreichte oder ob sie es für zu gefährlich oder einfach für unangebracht hielt zu kommen.
    Ihre Abwesenheit machte, dass Catarino das Hauptziel der spitzen Bemerkungen und der herablassenden Blicke an jenem Tag war, wie sie da in ihrem einfachen schwarzen Trauerkleid an dem offenen Grab stand, an jeder Hand eines ihrer hübschen, rothaarigen Kinder. Mir, einem Mann, mochte man allerlei Eskapaden 14
    genehmigen, keineswegs aber ihr, einem Weib! Kaum einer schien ihr ein Recht einzuräumen, überhaupt hier zu sein, schließlich hatte sie sich mit unserer Mutter überworfen, «wegen dem Kerl natürlich», wie die kundigen Damen zu berichten wussten, und schließlich hatte Mutter sich ein Leben lang geweigert, ihre Enkelkinder bei sich zu empfangen, woraufhin Catarino, die nicht weniger halsstarrig war als sie, Castelblanc in all den Jahren nicht einen einzigen Besuch abgestattet hatte. «Eine Theaterschreiberin», flüsterten
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