Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers
Autoren: Katja Klink
Vom Netzwerk:
Gewand eines Gelehrten, trat durch das eiserne Tor ins Innere des Kirchhofs, während sein ebenso gekleideter, aber dunkelhaariger und kräftiger Begleiter bei den Pferden vor der Umzäunung blieb. Der junge Herr schritt geradewegs auf die Grabstätte der Castelblancs zu, wo der Steinmetz nun einen weiteren Namen in den Stein der Familie eingemeißelt hatte. Dort kniete er nieder und betete eine lange Zeit. Der Priester, der den jungen Herrn noch nie in der Gegend gesehen hatte, wurde von Neugierde ergriffen, und als der Fremde sich schließlich erhob, um zum Ausgang zurückzukehren, trat er rasch näher. Seid mir gegrüßt, mein Herr, sprach er ihn an, ihr seid nicht von hier, wie es scheint?
    Der Fremde war stehengeblieben und betrachtete den Priester aus ernsten Augen. Allerdings nicht, antwortete er in fließendem Provenzalisch, wir kommen von weit her.
    Ihr seid Franzosen, nicht wahr?, mutmaßte der Priester. Aus welcher Stadt kommt ihr?
    Der Fremde zögerte einen Moment, dann sagte er: Paris. Paris! Das ist wahrhaft eine weite Reise, zumal in diesen gefährlichen Zeiten… Ihr seid ein Gelehrter, habe ich recht, Senher?
    Großer Gott – der Fremde schmunzelte –, wie habt Ihr das nur erraten, Patre?
    Oh, Euer Gewand… Der Priester lächelte geschmeichelt. Ich erkenne die Kleidung eines Docteurs, wenn ich sie sehe, sagte er. Ich war schließlich nicht immer Priester in diesem Städtchen… Früher gehörte ich dem Benediktinerorden in Marsilho an…
    Sein Blick wanderte zurück zu dem frisch aufgeworfenen Grab. Ihr kanntet die Dame Castelblanc wohl, meinte er. Ja, sagte der Fremde, ein wenig.
    17
    Eine fromme Edelfrau, erklärte der Patre mit eifrigem Nicken. Und außerordentlich großzügig. Sie hat unsere Kirche mit einer reichen Spende bedacht. Gott wird es ihr lohnen.
    Sicher wird er das, sagte der Fremde lächelnd.
    Der Priester, der gehofft hatte, der Docteur würde ihm etwas über seine Beziehung zu der verstorbenen Dame erzählen, war mit dem Verlauf des Gespräches nun alles andere als zufrieden und beschloss, auf allzu große Diskretion zu verzichten. Gewiss seid ihr mit der Dame verwandt, Senher?, fragte er.
    Der Fremde sah zu der Grabstätte hinüber, die die Diener mit frischen Frühlingsblumen geschmückt hatten. Nein, sagte er, ein Verwandter bin ich nicht. Nur einer, der die Dame Castelblanc sehr… geschätzt hat.
    Und damit wandte er sich ab und schritt dem Tor zu, und er sah dabei so traurig aus, dass der Priester später meinte, es könne sich bei dem fremden Herrn eigentlich nur um den jungen Liebhaber der Verstorbenen gehandelt haben, wer sonst hätte der Toten so heimlich und gleichzeitig so artig seine letzte Aufwartung machen sollen.
    Als der Fremde sich neben seinem Gefährten auf seinen Rappen schwang, kam der Priester zum Tor heraus gelaufen. Senher, rief er, wollt Ihr mir nicht wenigstens Euren Namen nennen?
    Einen Augenblick lang betrachtete der Fremde ihn nachdenklich. Dann antwortete er: Degrelho. Docteur Daniel Degrelho. Und er wendete sein Pferd und ritt mit seinem Gefährten die Straße hinab, der Ebene zu.
    18
    Kapitel 1
    in dem Cristino de Bèufort den schrecklichsten Tag ihres Lebens verbringt und die Familie nach Ais aufbricht
    Je vis, je meurs, je me brule et me noye,
    j’ay chaus estreme en endurant froidure,
    la vie m’est et trop molle et trop dure,
    j’ay grans ennuis entremeslez de joye.
    Ich lebe, ich sterbe, ich verbrenne und ich ertrinke, mir ist schrecklich heiß, während ich Kälte erdulde, das Leben ist mir zu weich und zu hart,
    ich verspüre großen Ärger vermischt mit Freude.
    Louise Labé, französische Poetin
    und Abenteurerin (1525-1565)
    19
    «Cristino!»
    Wenn man die Augen fest zukniff und die Decke ein Stück über das Gesicht zog, dann konnte man die beißenden Strahlen der Morgensonne aussperren und, für eine kurze Zeit zumindest, so tun, als sei es noch Nacht, und nicht schon der verhasste, vermaledeite Morgen. Dort, unter jener Decke, die Hände über beide Ohren gepresst, zusammengerollt wie eine Katze am Kamin, gab es keine Zeit, keine Turmglocken, die den Tag ankündigten, dort herrschte Stille, und Wärme, und Einsamkeit, wie im Reich des Schlafes.
    «Cristino!»
    Nein, sie hörte sie nicht. So laut sie auch rufen mochten, so sehr sie sich auch bemühten, zu ihr durchzudringen, sie würde sie nicht hören, sie schlief, schlief den Schlaf der verwunschenen Schönen im See, die fern der Welt auf den Cavalié wartete, der sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher