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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67
Autoren: Lisa Tetzner
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hielt Ordnung unter seinen Brötchen.
     
    Also wurden Pauls Brötchen dem unschuldigen Gustav vom Lohn abgezogen. Und darum ist es eben nicht mit »wegen so ein paar Brötchen« abgetan, und es ist ganz richtig, wenn man sagt: Wo kämen wir auf dieser Welt hin, wenn solche Dinge erlaubt würden.
     
    Nun wollen wir zu Pauls Entschuldigung annehmen, daß er gar nicht erfuhr, was für böse Folgen seine Taten für Gustav hatten, und daß er sich auch nicht überlegte, wie erzürnt die Bestohlenen waren.
     
    Einige Tage später sollte Erwin in der Bäckerei Brot einkaufen. Da kam die Witwe Weyermann in den Laden. »Herr Hennig«, sagte sie, »denken Sie nur, jetzt sind mir schon viermal hintereinander meine Frühstückssemmeln gestohlen worden, und jedesmal ist dabei auch ein bestickter Frühstücksbeutel verschwunden. Das geht doch nicht so weiter!«
     
    Sie hatte das kaum gesagt, da drehte sich Frau Klein, die auch im Laden stand, um und rief: »Was sagen Sie, auch bei Ihnen? Bei mir sind nicht nur die Brötchen fortgenommen worden, sondern auch die Milch. Einfach weg war sie, wie in den Erdboden gesunken. Wenn der Dieb nur wenigstens die leere Flasche dagelassen hätte! Man hat doch heute wirklich kein Geld übrig. Aber jetzt ist das Geld für das Flaschenpfand auch weg!«
     
    »Du lieber Himmel, was ist denn nur plötzlich in unserem Haus!« Der Bäcker legte vor Schreck alle Ware aus der Hand und setzte sich. »Frau Manasse im Vorderhaus hat sich auch schon beschwert.«
     
    »Und«, rief nun Frau Weyermann wieder, »bei Biedermanns sind auch bereits zweimal die Semmeln samt der Milch verschwunden. Sollte am Ende Ihr Lehrling Gustav« —sie dämpfte die Stimme, damit Gustav neben ihr in der Backstube nicht hörte, was für eine schlechte Meinung sie von ihm hatte — »sollte Gustav nicht ehrlich sein?«
     
    »Ja, natürlich Gustav«, meinte nun auch Frau Klein. Und sie wußten doch gar nicht, wie unrecht es war, den armen Gustav so zu belasten und zu verdächtigen.
     
    Dem Bäcker Hennig aber war das recht. Er dachte jetzt wieder an das wütende Telephongespräch mit Frau Meißel. Er dachte daran, daß auch Dr. Keller aus der Nebenstraße gestern hatte sagen lassen, wenn die unregelmäßige Semmelbelieferung nicht aufhörte, würde er gezwungen sein, die Brötchen abzubestellen. Und hier in seiner linken Tasche steckte ein Beschwerdebrief von Direktor Dingelstädt; auch darin hieß es: »Wegen unzuverlässiger Belieferung mit Brötchen sehe ich mich genötigt, meine Semmeln hinfort woanders zu bestellen.« Das konnte also nur Gustav sein; die Frauen hatten es auch gesagt. Er beschloß, Gustav noch heute zu entlassen. Wahrscheinlich verkaufte er die Brötchen gegen Kaugummi oder Bonbons. Und da Gustav gerade mit einem großen Korb Brötchen in den Laden kam, schrie ihn der Bäcker sofort an: »Du bist ein ganz gemeiner Dieb, ein Spitzbub, du stiehlst und unterschlägst Brötchen« und lauter solche Dinge mehr. Gustav weinte und jammerte: »Ach, Herr Meister, ich bin gewiß kein Dieb. Ich habe noch nie ein einziges Brötchen weggenommen. Es muß aber ein Dieb hier sein, denn ich weiß ja schon längst, daß Ware verschwindet, und sorge mich darum.«
     
    Erwin hatte das alles mitangehört. Er fand es sehr aufregend und spannend, daß in ihrer Nähe ein Dieb lebte. Er glaubte Gustav sofort, daß dieser es nicht gewesen war.
     
    Auch der Bäcker Hennig schien jetzt Gustav zu glauben. Er sagte, er wolle es noch einmal mit ihm versuchen, aber wenn wieder eine einzige Semmel wegkäme, dann...
     
    Er sagte nicht weiter, was »dann« geschähe. Er drohte nur mit dem Arm und brummte etwas von »Polizei« und »Haussuchung«.
     
    Erwin wollte genau wissen, was Herr Hennig dann zu tun gedächte. Er müßte sich doch auch vor dem Dieb schützen.
     
    »Ich sag' ja schon«, sagte der Bäcker, »die Polizei werd' ich benachrichtigen und dann gibt's im ganzen Haus eine Haussuchung.«
     
    »Aber, Herr Hennig!« Erwin war ganz entsetzt. »Haussuchung? Es sieht doch ein Brötchen wie das andere aus und außerdem hat der Dieb die Brötchen sicherlich gleich aufgegessen. Sie können ihm doch nicht in den Magen gucken!«
     
    »Was du nicht sagst! Ich könnte dem Dieb nicht in den Magen gucken lassen? Die Polizei kann alles. Da wird der Magen einfach chemisch untersucht, mein Junge!«
     
    »Ach so!« Einen Augenblick wußte Erwin wirklich nicht, was er sagen sollte. Aber so schnell ließ er sich nicht verulken. Das war ja
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