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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67
Autoren: Lisa Tetzner
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fällt gleich vor Schreck von der Bank, dachte Erwin. »Kann denn die Polizei das?«
     
    »Natürlich, auf chemischem Wege«, antwortete Erwin ganz genau so, wie er es vom Bäcker Hennig gehört hatte.
     
    »Ach, und dabei haben sie es entdeckt?« Paul wollte es immer noch nicht glauben; und Erwin war froh, daß jetzt der Lehrer kam und die Fragerei aufhörte. In der Pause fing Paul immer wieder von vorne an. Er wollte alles genau wissen. Erwin streckte ihm schließlich die Zunge heraus und dachte: ›Das hat er davon, warum wollte er nicht mit mir Detektiv spielen!‹
     
    Paul konnte sich wirklich nicht beruhigen. Was war denn das nun eigentlich? Tagelang hatte er eine unbändige Angst gehabt, entdeckt zu werden. Er wußte, daß man ihn belauerte, daß man sich über den Dieb, also über ihn geärgert hatte und daß die Polizei kommen konnte. Nun fiel das alles weg. Jetzt würde sich Erwin nicht mehr wichtig nehmen und im Treppenhaus wie ein richtiger Schutzmann auf und ab patrouillieren. Dann konnte ihm also nichts mehr geschehen; und alles war gut.
     
    Als er am Freitag morgen wieder durch das Treppenhaus lief, pfiff er seit langer Zeit zum ersten Male. Und vor Biedermanns Tür blieb er stehen und sah Milch und Brötchen an. Der Beutel lag neben der Tasche und war vom Knopf gefallen. Er wollte ihn rasch aufheben und wieder hinhängen. Aber als er ihn in der Hand hielt und die drei fast noch warmen Brötchen spürte, da dachte er daran, wie lange er schon wieder in der Frühstückspause nichts zu essen gehabt hatte. Als er die Milch betrachtete, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Noch einmal, nur noch ein einziges und endgültiges Mal wollte er sie nehmen. Es konnte ihm ja gar nichts geschehen. Der Dieb war schon gefangen. Es war wieder jenes unbekannte Etwas in ihm, das ihn zu verhexen schien und schwach machte. »Häng's hin, mach keine Dummheiten!« sagte zwar die eine Stimme in ihm, aber die andere sagte: »Ach was, wegen so ein paar Semmeln.«
     
    Erwin lag in seinem Versteck und hatte Paulchen kommen sehen. Es tat ihm leid, daß er ihn neulich mit der Diebesgeschichte so verkohlt hatte, denn eigentlich war er doch sein bester Freund, auch wenn sie sich jetzt oft stritten. Er wollte ihm heute in der großen Pause alles gestehen, vielleicht machte er doch mit und half ihm. Aber da sah er, daß — daß Paul sich bückte — und — Semmeln in der Hand hielt! Er beugte sich vor, um das näher zu betrachten.
     
    Doch, was war denn das? Träumte er? Paulchen bückte sich ein zweites Mal, hob eine Milchflasche auf und stopfte sie und die Semmeln in seine Schultasche. Erwin strich sich über die Augen, er kniff sich in den Arm. Er wollte es einfach nicht glauben, daß es Wirklichkeit war, was Paul da tat.
     
    Also Paul, sein Freund Paulchen, war der Semmeldieb!
     
    Erwin vergaß sogar vor Entsetzen, aus seinem Versteck herauszustürzen, um ihn festzuhalten. Er rief nur ganz entsetzt: »Paule, Paule!«
     
    Er rief das nicht sehr laut, er wußte vielleicht kaum, daß er es sagte. Aber immerhin hörte es Paulchen, als er mit großen Sätzen an ihm vorüberlief und aus dem Haus stürzte.
     
    Auf der Straße blieb er stehen und sah sich ängstlich um. War das nicht Erwins Stimme gewesen? Ich glaube, ich bin wirklich behext. Jetzt reden nicht nur die Semmeln und Milchflaschen mit mir. Jetzt hör' ich auch noch Erwins Stimme, ohne ihn zu sehen. Sein Herz klopfte mächtig, und weder die Milch noch die Semmeln schmeckten ihm. Er schluckte sie rasch auf dem Weg hinunter, damit sie keiner bei ihm finden konnte. Denn wenn Erwin doch noch Detektiv spielte und alles gesehen hatte, dann würde er ihn jetzt anzeigen, um seine zehn Stück Sahnetorte zu bekommen, und er mußte ins Gefängnis. Den ganzen Schulweg sagte er immer vor sich hin: »Es war bestimmt das letztemal, es war ganz bestimmt das allerletztemal, und wenn ich verhungere!«
     
    Aber freilich; er hatte schon mehrmals gute Vorsätze gehabt, und sie dann doch vergessen. Das war eben das Gefährliche, daß er anders handelte, als er sich vorgenommen hatte. Ihm war zum Weinen zumute.
     
    Ganz genau so erging es aber auch Erwin. Er stand auf, kroch aus seinem Versteck hervor, schüttelte sich den Staub von den Kleidern und dachte immer wieder: ›Also Paul, mein Freund Paul, ist der Dieb, und nun muß ich hingehen und Paul anzeigen. ,Herr Hennig', muß ich sagen, ,ich hab' den Dieb gesehen. Es ist Paul Richter!'‹ Dann würden alle Leute im Haus mit Fingern
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