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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin
Autoren: Helena Marten
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ernst nahmen und ihr auf der Nase herumtanzten, kaum gönnte sie sich einen winzigen Moment der Muße und wachte nicht mit Argusaugen darüber, dass alle ihre Pflicht erfüllten. Ach, Adam, warum hast du mich nur so früh verlassen?, dachte sie zum unzähligsten Male seit seinem viel zu frühen Tod. Manchmal war sie richtig von Wut erfüllt, wenn ihr wieder einmal bewusst wurde, welch große Verantwortung er auf ihre Schultern geladen hatte – weiß Gott nicht freiwillig, das war ihr genauso klar –, dann wieder hätte sie sich am liebsten weinend im Bett verkrochen und sich die Decke über den Kopf gezogen, um nie mehr den Gastraum der Coffeemühle betreten zu müssen.
    Johanna spürte den durchdringenden Blick des Kükenflaumigen auf sich ruhen. Auch alle anderen im Raum schienen sie anzustarren, bis auf den zweiten Polizisten, der nach wie vor teil nahmslos in Halderslebens Zeitung glotzte. Wie aus weiter Ferne ertönte als einziges Geräusch das Klacken der Billardkugeln aus dem Hinterzimmer. Aus der Speisekammer war kein Mucks zu vernehmen. Die Mägde mussten die Kaffeeguckerin wirklich gut im Griff haben. Johanna gab sich einen Ruck. Es half ja alles nichts, auch durch diese Geschichte musste sie durch.
    »Ich bin mir ganz sicher, dass hier eine Verwechslung vorliegt«, wiederholte sie mit forscher Stimme und zwang sich, ein entwaffnendes Lächeln aufzusetzen.
    Der Pikett warf einen fragenden Blick zu seinem Kollegen, der nun durchdringend einen der Orden an der Uniformjacke des Kartenmachers betrachtete. Haldersleben liebte Uniformen, obwohl er selbst nie beim Militär gewesen war. Heute trug er die dunkelblaue Jacke eines schwedischen Artilleristen.
    Endlich schaute der zweite Polizist auf und schüttelte den Kopf.
    »Es liegt bestimmt keine Verwechslung vor! Man hat uns gesagt, dass hier bei Ihnen Kaffeeguckerinnen ihr Gewerbe praktizieren würden. Wir sind hierher geschickt worden. Hierher zu Ihnen. Zur Coffeemühle am Alten Markt. Sie wissen, dass das Lesen aus dem Kaffeesatz verboten ist, oder?«
    »Natürlich weiß ich das! Aber Sie sehen ja, dass das hier nicht der Fall ist.«
    Rums! Aus der Vorratskammer war ein lautes Rumpeln zu hören, dicht gefolgt von einem Scheppern, als wäre etwas heruntergefallen und zerbrochen. Dann war es wieder still.
    »Was befindet sich hinter dieser Tür?«
    Der mit dem schütteren Haar legte eine Hand an seinen Degen.
    Seine Stimme klang ungewöhnlich hell, registrierte Johanna mechanisch, der der Schreck in alle Glieder gefahren war. Die ganze Stube schien den Atem anzuhalten. Selbst die Würfelspieler sahen gespannt auf die Tür zur Vorratskammer. Auch Ludwig Haldersleben schaute für einen Moment von seiner Lektüre hoch. Er rückte die Kerze etwas näher an das Papier, warf einen unwirschen Blick über seine Schulter auf den mitlesenden Polizisten und blätterte raschelnd die Seite um.
    »Das ist nur unser Vorratslager. Wir stampfen unseren Kaffee dort. Meine Mägde gehen da ständig rein und raus. Rein, raus, rein, raus. Sie wissen, was ich meine? Das war nur die Tür zum Hof, die Sie gehört haben.«
    Wenn es sein musste, konnte Johanna lügen wie gedruckt. Das war eine ihrer großen Stärken – wenngleich noch nicht sehr lange. Früher war sie sofort rot geworden, wenn sie auch nur daran gedacht hatte, die Unwahrheit zu sagen oder sonst wie vom Pfad der Tugend abzuweichen. Adam hatte sich oft über sie lustig gemacht und behauptet, man könne in ihrem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Insgeheim war Johanna sogar stolz darauf gewesen, dass sie nicht lügen konnte. Als Kind war sie einmal dabei erwischt worden, wie sie eine kleine Puppe, die aus einem Lumpen gefertigt war und ihrer Cousine gehörte, in ihren Rocktaschen hatte verschwinden lassen, um sie mit nach Hause zu nehmen. Seit ihre scharfzüngige Tante ihr den Diebstahl auf den Kopf zugesagt hatte, war sie nie mehr in Versuchung gekommen, etwas Unehrenhaftes zu tun. Zu groß war die Schande damals gewesen, zumal ihre Eltern Zeugen der Zurechtweisung durch die Tante geworden waren. Sie selbst hatten nicht mit ihr geschimpft, sondern sie nur bekümmert angesehen – was letztlich eine viel schlimmere Strafe gewesen war. Seit diesem Tag hatte sich Johanna immer um Redlichkeit bemüht und war damit bis zu Adams Tod recht gut durchs Leben gekommen. Doch allein auf sich gestellt, hatte sie bald gemerkt, dass ihre Mitmenschen es mit der Wahrheit längst nicht so genau nahmen wie sie selbst und alles
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