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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen
Autoren: Sándor Márai
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Am Tor blickte er noch einmal zurück: Die Tante stand mit gefalteten Händen hinter der Glastür und sah ihm nach.
     
    ~
     
    Die Fenster des Theaters sind festlich erleuchtet. Vor dem Seiteneingang, der zu den Logen führt, wartet ein Wagen. Ábel geht über die Hauptstraße und beschließt, Ernő s Vater zu besuchen.
    Der Schuster ist vor anderthalb Jahren mit einem komplizierten Lungendurchschuß heimgekommen, spuckt seither ständig Blut. Er bewohnt im engen Fischergäßchen in einem schmalen, hohen Haus das Kellergewölbe, das ihm zugleich Werkstatt und Wohnung ist. Von der Gasse führen fünf niedrige Stufen in die Behausung hinab. Rechts und links vom Eingang hängen Tafeln, vom Schuster in kunstvoller Pinselschrift erstellt: Sprüche in nebelhafter biblischer Sprache, durchsetzt von verschwommenen Bildern und Wortgirlanden, rufen sie die Menschheit dazu auf, genügsam zu leben und sich zu Christus zu bekehren.
     
    »Jüngling, halte den Schild deines Glaubens hoch!«  mahnt eine Tafel. Eine andere:
    »Gottes Wohlgefallen findest du nicht ob deiner großen Klugheit, Kraft oder ob deines Ranges, noch deiner Frömmelei, doch wenn du Jesu dein Herz öffnest, so wird er den Schleier der Vergebung über deine Vergangenheit legen und dich zur Herrlichkeit Gottes vorbereiten.« Und: » Wie die eherne Schlange, großer Retter, erhebe dich zu den Herzen, damit die vom Leben Betrogenen durch dich zum Heil gelangen.« Und mit Riesenlettern: »Auch der Tod setzt nicht unbedingt mit dem Sterben ein. Viele weilen schon im Totenhemd unter uns. Dem Tod verschrieben, lege noch heute dein Leben in deines Jesu Hand, so wirst du zur Todesangst keinen Grund mehr haben.«
     
    Die Menschen bleiben stehen, lesen kopfschüttelnd und gehen verblüfft ihres Wegs.
    In der Werkstatt herrscht schummriges Licht, das brodelnde Kleistertöpfchen erfüllt den Raum mit beißendem, gärend saurem Geruch. Der Schuster sitzt, dicht zum Licht der Karbidlampe gebeugt, am niedrigen Tisch wie ein großes zotteliges Insekt, das sich, vom magischen Schein des Lichts angezogen, hier niedergelassen hat. Als er den Jungen erblickt, legt er alles, was er in der Hand und im Schoß hält, sorgfältig auf dem Tisch ab: ein großes Stück rohes Sohlenleder, den Kneif, das Schustergarn und einen abgetragenen braunen Halbschuh.
    Erst dann erhebt er sich und verbeugt sich tief. »Gesegnet sei der Name des Herrn, der uns im Glauben stärkt und über unsere Feinde triumphiert.«
    Ábel ist stets entzückt, wenn der Schuster die feierliche und hehre Begrüßung in so selbstverständlichem und beiläufigem Ton spricht, als sage er »Habe die Ehre«. Der Schuster ist ein kleingewachsenes, verhutzeltes Männlein, von der Krankheit schon fast aufgezehrt. Bleischwer hängt der Lederschurz an ihm, es sieht aus, als müsse er jeden Augenblick nach vorn kippen, zu Boden fallen. Ein Bein ist kürzer, das hatte er sich noch vor dem Lungendurchschuß geholt. Der lange Schnurrbart fließt förmlich aus dem mageren, knochigen Gesicht hinab und verwebt sich mit dem struppigen Vollbart und dem ungeschorenen, widerborstigen Haupthaar, das mit seinen stacheligen Zotteln wie eine Drahtperücke den Schädel umgibt. Seine tiefliegenden, großen schwarzen Augen schimmern trübe, und das Weiße in seinen Augen ist so groß wie der Augapfel eines Negers.
    »Der junge Herr sucht meinen Sohn Ernő«, sagt der Schuster und bietet Ábel mit der auffallend kleinen, kränklichen weißen Hand einen Platz an. In seinen Bewegungen ist viel natürliche Anmut. Er selbst bleibt stehen, stützt sich auf einen kurzen, krummen Stock, steht so dem Gast gegenüber. »Mein Sohn Ernő ist nicht zu Hause. Und wenn man es richtig bedenkt, kann man auch kaum von ihm verlangen, daß er hinfort seine Zeit in der Behausung seiner Eltern verbringt. Die jungen Herren haben heute die Maturaprüfung abgelegt und sind somit vor Gott und der Welt auf eine höhere Stufe der Gesellschaftsordnung gelangt.«
    Er redet ohne Nuancierung und Leidenschaft, seine Stimme bleibt farblos, als bete er oder sage eine Litanei auf.
    »Mit dem heutigen Tag«, so fährt er fort, »hat auch mein unwürdiger Sohn Ernő seinen Platz unter den herrschaftlichen Söhnen eingenommen. Wie untrügliche Zeichen belegen, war es nicht der Wille des Herrn, daß mein Sohn seinen Eltern in ihren alten Tagen eine Stütze sein soll. Seine Bestimmung ist vielmehr, daß er in Herrschaftskreisen lebt und hinkünftig mein Feind ist. Es wäre töricht
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