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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen
Autoren: Sándor Márai
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Prockauer im Traum mehrmals beim Vornamen gerufen.«
    »Tibor?« fragt Ábel. Seine Kehle ist ganz trocken.
    Der Schuster tritt in die mit einem Vorhang abgeteilte Kammer des Kellerraums. »Hier schlief ich zu seinen Füßen«, sagt er, zieht mit einer Hand den Vorhang zur Seite und weist auf das Schubladenbett: »Ich zog mich auf das härtere Lager zurück, hierher auf den Boden, und überließ mein Bett dem Sohn, damit er sich angemessener auf das Herrenleben vorbereiten kann. Und von hier hörte ich mehrfach, wie er im Traum den Taufnamen des jungen Herrn Prockauer aussprach. Man ruft im Traum nur dann den Namen eines Menschen, wenn man leidet. Ich vermag nicht zu sagen, worunter mein Sohn im Traum gelitten hat, als er den Namen des jungen Herrn rief.«
    Er läßt den Vorhang fallen, als breite er einen Schleier über eine trostlose Entdeckung.
    Hier lebt Ernő, denkt Ábel.
    Er hat sich nie vorzustellen gewagt, wo Ernő daheim schläft, was sie essen, worüber sie reden. Letzte Woche war er mehrmals in der Werkstatt, aber immer nur, wenn Ernő nicht zu Hause war, und der Schuster hat ihm nie die Kammer gezeigt, in der er mit seinem Sohn haust. Hier also schläft Ernő zusammen mit dem Vater, und die Mutter bereitet sich vermutlich in der Werkstatt ihr Schlaflager.
    »Vielleicht«, sagt der Schuster, »hat mein Sohn den Namen des jungen Herrn Prockauer gerufen, weil er ihm gegenüber ein Gefühl der Dankbarkeit empfindet. Der junge Herr hat meinen Sohn schon seit langem mit seiner Gunst erfreut. Bereits in den unteren Klassen durfte Ernő die Schulbücher vom Sohn des Herrn Oberst mit nach Hause nehmen. Und später, als der junge Herr die Schule mit durchaus verzeihlichem Leichtsinn etwas vernachlässigte, hat der Herr Oberst meinen Sohn dadurch ausgezeichnet, daß er Tibor beim Lernen behilflich sein durfte. Die Gunst der Herren ist unermeßlich. Der Güte des Herrn Oberst habe ich zu verdanken, daß ich an der Front der Läuterung teilhaftig werden durfte.«
    »Wessen teilhaftig?« fragt Ábel und beugt sich vor.
    Der Schuster richtet sich auf. »Der Läuterung. Die Stunde, da wir über alles reden, ist noch nicht gekommen. Läutern kann sich nur, wer gedemütigt worden ist. Der Herr Oberst, dessen Sohn meinem Sohn so viel Güte entgegenbrachte, gab mir Gelegenheit, mich zu läutern, als er während der Abwesenheit des offiziellen Exekutionsorgans gerade mich beauftragt hat. Dreimal hatte ich Gelegenheit, mich zu läutern.«
    Er streckt seine beiden Hände vor: »Wer das Leben gibt, dem ist jedes Mittel recht, das Leben auch wieder zu nehmen. Geruhen Sie bitte in Erwägung zu ziehen, was wir alles dem gnädigen Herrn Prockauer zu verdanken haben. Nicht nur durfte mein Sohn seinen Sohn unterrichten und konnte in dessen gebrauchten Kleidern im Kreis der Herrschaft, dem er nun angehören wird, in passender Garderobe angemessen auftreten; auch habe ich, der Vater, ihm zu verdanken, daß ich mich im Rahmen der großen Läuterung, die der Herr der Welt auferlegt hat, gleich dreimal läutern konnte. Mit diesen meinen beiden Händen. Der junge Herr weiß das nicht?«
    »Sie, Herr Zakarka?« fragt Ábel und steht auf. Er verspürt keinerlei Erschütterung, ist eher tief verwundert.
    »Dreimal. Hat mein Sohn es vor den Herren nicht erwähnt? Vielleicht wollte er sich mit der Läuterung seines Vaters nicht hervortun, und das war auch recht so, denn es schickt sich, daß ein Mensch von niederer Herkunft auch dann bescheiden bleibt, wenn ihn die Herrschaften in ihrer Großherzigkeit in ihrem Kreis aufnehmen. Ja, dreimal ist es mir gelungen, mich zu läutern. Denn Sie sollten wissen, der Krieg, den Gott uns in seiner Güte auferlegt hat, damit wir unsere Sünden bekennen, gibt dem Menschen bei all dem großen Sterben kaum Gelegenheit, zur Läuterung zu gelangen. Sagen wir, mit einer Waffe zu zielen und aus einer gewissen Entfernung jemanden zu töten, das ist nicht das gleiche, wie mit den eigenen Händen ein Leben auszulöschen, ich meine, unmittelbar. Es ist schon etwas anderes, wenn wir mit den Händen jemanden im Genick fassen und ihm die Wirbel brechen, als wenn wir einem Mitmenschen mit scharfem Instrument eine Wunde beibringen, und natürlich wieder etwas anderes, mit Hilfe von Explosionsstoff aus beträchtlicher Entfernung eine Bleikugel in einen menschlichen Körper zu jagen. Diese Abstufungen sind von großer Bedeutung. Läutern kann sich der Mensch nur, wenn er den Tod unmittelbar zufügt. Zudem waren auch noch
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