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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen
Autoren: Sándor Márai
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verstaute ihre Gesundheitsmittel und Reinigungspräparate im dunklen Korridor zwischen Küche und Speisezimmer, Weingeist, Terpentin, Salmiakgeist, Benzin, Chlor, Petroleum, von allem größere Vorräte, denn in Kriegszeiten waren solche Waren rar, und auch jetzt kommt sie von einem ihrer geheimnisvollen Besorgungsgänge zurück. Schleppt in ihrem gehäkelten Einkaufsnetz, das stets an ihrem Arm hing, wenn sie in der Stadt unterwegs war, zwei Kilo soeben erbeuteter Stärke, dazu Reis und frisch gerösteten Kaffee. Ihr schwarzer Hut, zum Gedenken an einen unbekannten Toten mit einer Trauerschleife geschmückt, thront auf dem Haarkranz. Ihre spitze gelbe Nase berührt kalt das Gesicht des jungen Mannes.
    Etelka war als entfernte Verwandte ins Haus gekommen, als Gast für kurze Zeit –und sie blieb nach Mutters Tod hängen, als Magd, als Mutterersatz, ohne Bezahlung, stets zum Aufbruch bereit, unerschütterlich. Ábel hatte sie gern. Sie war die »andere Welt«, wie er sie nannte, er mochte sie, weil sie leise sprach; sie klammerte sich mit der zähen und unerbittlichen Liebe kinderloser Menschen an die beiden Wesen, auf die sie ihr ganzes Leben ausrichtete. Eine altjüngferliche Person, die sich statt Hund und Katze zwei Menschen hielt, Vater und Sohn. Ábel wußte, daß Etelka ohne Zögern auch für sie sterben würde.
    Sie konnten seit langem nicht mehr miteinander reden.
    Das Haus, dieses einstöckige Gebäude mit den niedrigen Räumen, hatte schon immer etwas von der Atmosphäre eines Treibhauses. Die Fassade unter dem Doppelwalmdach wirkte gedrungen. Die gelben Wände waren von roten Regenrinnen eingefaßt, und am Toreingang hingen zu beiden Seiten eiserne Laternen, die mit grünlichem Öl glänzend poliert wurden. Auch das Gärtchen, ein handbreites Gartenstück, wie es zu alten Stadthäusern gehört, wirkte in seiner wenige Quadratmeter messenden Enge wie ein Gewächshaus. Es war auf drei Seiten von hohen Brandmauern umgeben. Im Sommer wucherte üppiges Unkraut darin. Seit dem Tod der Mutter lebten Etelka, der Vater und Ábel in diesem Haus und in diesem Gärtchen, völlig zurückgezogen; auch das Personal wechselte selten. Später kam Ábel in den Sinn, daß Etelka den Vater möglicherweise geliebt hat, vielleicht gab es eine Zeit, in der ihr schwärmerisches Verhalten Vater gegenüber noch etwas anderes bedeutete. Aber darüber hat nie jemand ein Wort verloren. Auch für Ábel ist es in der Erinnerung wie etwas Ungeschehenes, wie eine Gewitterstimmung, bei der sich das Zimmer für Augenblicke verdunkelt, ohne daß aus den bedrohlichen Gewitterwolken Regen niederprasselt und sich ein Gefühl der Erleichterung einstellt, ein Nachlassen der Anspannung.
    »Du hast lange geschlafen«, sagt die Tante. »Ich wollte warten, bis du aufwachst. Ihr habt auch Likör getrunken, nicht wahr? Meide solche Getränke, mein Liebling, sie sind schädlich in deinem Alter. Ich bin eine alte Frau, Ábel. Ich kann nur darum bitten, daß du aufpaßt. Du bist dabei, ins Leben hinauszutreten, mein Kind. Natürlich sollt ihr feiern, nachdem ihr so viel für die Schule gelernt habt. Aber du mußt aufpassen. Wann trefft ihr euch? Egal, wie spät es ist, wenn du heimkommst, schau doch noch zu mir herein. Alles ist schon wieder teurer geworden; Stärke, Eier. Wenn dein Vater demnächst kommt, bringt er hoffentlich Lebensmittel mit. Morgen schreiben wir ihm und berichten, daß du die Maturaprüfung bestanden hast. Küß mich.«
    Sie beugt sich vor und drückt ihr Gesicht an das des Jungen. Einen Augenblick verharren sie so. Man lebt neben einem Menschen und weiß lange gar nichts von ihm. Eines Tages spürt man dann, daß er einen überhaupt nichts mehr angeht. Dies hier war der eine Teil seiner Welt, die Tante, Mutters Möbel, der Garten, Vater, das Geigenspiel, Jules Verne und am Allerseelentag der Gang mit der Tante zum Friedhof. Diese Welt war so stark, daß nichts, was von außen hereinbrach, sie zerstören konnte, auch nicht der Krieg. Vor einem Jahr drang dann plötzlich durch einen Spalt etwas ein, das man nicht voraussehen konnte. Da erfuhr er, daß es noch eine andere Welt gibt. Und alles hat sich seither verändert. Was bis dahin süß war, wurde bitter, Saures schmeckte jetzt wie Galle. Aus dem Treibhaus wurde ein Urwald. Und die Tante bedeutete ihm soviel wie eine Tote, oder weniger.
    Die verglaste Tür fiel ins Schloß, die Klingel ertönte kurz, und der Ton schwebte durch die Luft und drang in alle Räume des stillen Hauses.
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