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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen
Autoren: Sándor Márai
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von mir, mich gegen den Willen des Herrn aufzulehnen. Mein Sohn ist heute in den stolzen Kreis der herrschenden Klasse eingetreten und wird somit zwangsläufig zum Gegner seiner minderwertigeren Eltern, seiner Verwandten und unzähliger Mitmenschen.«
    Er macht eine Handbewegung in der Luft, als wolle er seinen Segen erteilen. »Wer im Tun und Handeln der Menschen die Absicht des Schöpfers erkennt, der nimmt selbst Krankheit, Unheil und Zwietracht unter Familienmitgliedern ergeben an. Mein Sohn Ernő ist schweigsam, und er verachtet die Kunst der Rede, mit der ich vom Allmächtigen bedacht worden bin, auf daß ich meine Pflicht erfülle. Die Ströme sind zu Tal geflossen, die Gebirge stürzten ein. Zweifellos hat die Stunde geschlagen, und auch die Herrenklasse entrichtet ihren Blutzoll. Millionen Tote liegen in den Erdlöchern, und meiner Wenigkeit war es beschieden weiterzuleben, während die Herrenklasse unfreiwillige Opfer bringt, der Erde und den Gewässern.«
    »Zweifellos, Herr Zakarka«, sagt Ábel. »Könnte ich mit Ernő sprechen?«
    »Jawohl«, fährt der Schuster unerschütterlich fort. »Geruhen Sie, darüber nachzudenken, welch groß e Sache das ist. Bisher war zu beobachten, daß die Herrenklasse dank hoher Bildung und allenthalben nachgewiesener Vortrefflichkeit von Schicksalsschlägen verschont geblieben ist, etwa von Erdbeben, Hochwasser, Feuersbrunst und von Krieg, sofern Gott ihr nicht das Kainsmal aufgedrückt hatte. Bis dahin galt, daß es auf der Welt zwei Klassen gibt, die weniger miteinander gemein haben als Heuschrecken und Bären. Belieben Sie zur Kenntnis zu nehmen, daß die letzte Stunde geschlagen hat. Die Söhne der Herrenklasse liegen zusammen mit den Angehörigen der niederen Klasse in der Kalkgrube. Feuer zerstört die Welt.
    Propheten stehen auf, und ihre Stimmen werden deutlich vernehmbar sein, auch meine Stimme hat der Herr auserkoren, auf daß man sie höre und ihr folge.«
    Im flackernden Licht der Karbidlampe wirft die Gestalt des Schusters einen langen Schatten. Von Zeit zu Zeit hustet er, sagt jedesmal »mit Verlaub«, humpelt in eine Ecke der Werkstatt und spuckt lange und ausgiebig.
    Ábel sitzt nach vorn gebeugt. Er weiß, daß er abwarten muß, bis der Schuster mit seinen Sprüchen am Ende ist. Auf einer Stellage, zwischen zerbeulten Töpfen, liegt die Bibel, an der Wand hängt ein meterhohes Kruzifix mit kindsgroßer Christusfigur. Der Schuster bewegt sich schwankend, stützt sich schwer auf den Stock.
    Nach dem Hustenanfall fährt er mit krächzender Stimme fort: »Was meinen Sohn Ernő betrifft«, und dabei verbirgt er seine Hände unter dem Lederschurz, »ihn haben die jungen Herren gütigerweise in ihren Kreis aufgenommen, wofür er ihnen Dankbarkeit schuldet, auch wenn die jungen Herren längst nicht mehr sein werden. Nach menschlichem Ermessen wird mein Sohn Ernő infolge seiner körperlichen Schwäche und der ererbten Krankheit die jungen Herren überleben, die ihm so viel Güte zuteil werden ließen und die sich jetzt als tauglicher erweisen, dem heldenhaften Beispiel ihrer Herrenväter zu folgen, als mein vom Schicksal benachteiligter Sohn. So zeigt sich, daß auch Krankheit und Schwäche ihren Sinn haben. Die jungen Herren werden hinausgehen, dorthin, wo wir im Angesicht des Todes alle gleich sind; mein Sohn Ernő aber bleibt hier. Er wird ein Herr sein, wenn die Stunde der Heimsuchung vorüber ist, und auf denen, die übrigbleiben, ruhet die besondere Gnade des Herrn. Ich beabsichtige, diese Stunde noch zu erleben.«
    Nach dieser Verheißung nickt er leicht und höflich, verbeugt sich gleichsam entschuldigend, wie einer, der nicht anders kann. Ábel betrachtet das Kruzifix.
    Der Schuster folgt mit strenger Miene seinem Blick. »Die jungen Herren waren sehr gütig zu meinem Sohn. Ganz besonders der Sohn des gnädigen Herrn Prockauer. Das darf ich nicht vergessen. Der junge Herr Prockauer, auch wenn er persönlich noch nicht die Würde erlangt hat, so steht er doch aufgrund der weltlichen Reputation seines Herrn Vaters auf einer so hohen Rangstufe, daß seine Freundschaft meinen Sohn für alle Zeiten ehrt. Ernő weiß, was er den Herren schuldet. Seine Schweigsamkeit und mein bescheidenes Denkvermögen, welches die Absicht der Herren nicht ganz zu begreifen vermag, könnten der Grund dafür sein, daß er von seiner Dankbarkeit nie mit mir geredet hat. Doch was man im Wachzustand nicht ausspricht, verrät zuweilen der Schlafende. Ernő hat den jungen Herrn
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