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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen
Autoren: Sándor Márai
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die Art, wie der Alte seine Visionen vorträgt, ist so ruhig und diszipliniert, daß man sie, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehend, kaum verrückter findet als Äußerungen von anderen Erwachsenen. Am richtigen Platz, in ihrem Umfeld, hat jede Sache ihren Sinn, ist alles statthaft. Bei einigem Nachdenken kann er das zwiespältige Gefühl nicht loswerden, daß Zakarkas fixe Ideen etwas Anziehendes haben, etwas, das er nicht übergehen, nicht gleichgültig beiseite schieben kann. Der Schuster zieht ihn an, anders als Ernő, als Tibor, ja, auch anders als der Schauspieler, aber dieser andersartige Reiz hat für ihn etwas Unüberwindliches. Er muß den Schuster von Zeit zu Zeit aufsuchen.
    Der Schuster ist Ernő s Vater, und Ernő gehört zur Clique. Ja, Ernő ist ein wichtiges Mitglied ihrer Bande. Er hat eigentlich nie etwas angeregt, und dennoch, nachträglich, wird Ábel das Gefühl nicht los, als ob der schweigsame und verschlossene Ernő der Initiator gewesen sei. Daß der Schuster an der Front auch Henkerdienste geleistet hat, ist ihm natürlich neu. Er staunt, empfindet aber kein Entsetzen. Er betrachtet die Hände des Schusters, die ihm zur »Läuterung« verhelfen haben, und spürt weder Ekel noch Erschütterung. All das ist unbegreiflich, mit dem Verstand nicht faßbar. Zu schnell ist das Ganze gekommen, die Kindheit, das Treibhaus, das Geigenspiel des Vaters, dann etwas, was die anderen Krieg nannten, das aber an Ábels Leben nichts geändert hat; und danach ist plötzlich das Glas des Treibhauses geborsten, und er steht mitten unter den Erwachsenen, belastet mit der Lüge und der Sünde, in Angst, mit der Clique verbündet auf Leben und Tod, mit denen, die ein Jahr, einen Tag oder eine Stunde zuvor noch genauso Kinder waren wie er, in einer anderen, sanften Welt lebten und von Gefahren überhaupt nichts wußten. Sich um das zu kümmern, was die Erwachsenen inzwischen gemacht haben, dafür war keine Zeit. Die Väter sind weggegangen, die älteren Brüder wurden geholt; das unklare, für die Jungen eher langweilige, zur Gewohnheit gewordene schreckliche Geschehen, das die Väter während ihrer Abwesenheit betrieben, hat sie nicht interessiert. Daß Ernő s Vater draußen auch zum Henker wurde, das war nur etwas Zusätzliches, mit dem Ábel nichts anfangen konnte. Es war Sache der Väter und der älteren Brüder. Man hat auch noch anderes gehört. Die Welt, die er gekannt hat, ist zerbrochen, und er irrt jetzt zwischen den Trümmern umher. In einigen Wochen, einigen Monaten wird es vielleicht seine Aufgabe sein, Menschen zu henken. Wenn Zakarka gehenkt hat und dabei geläutert wurde, so war das seine Sache. Jeder läutert sich, wie er eben kann.
    Der Schuster führt den Ausdruck »Läuterung« häufig im Munde. Ábel fühlt sich zu ihm hingezogen, doch was genau er damit meint, versteht er nicht. Zakarka beruft sich auf die Bibel. Ábel mag seine Ausdrucksweise. Seine Art zu sprechen wirkt auf ihn wie eine aufreizende Gesangsstimme, die zwar falsch ist und sich überschlägt, aber dennoch lebendig und volltönend klingt. Er hatte etwas von einem Straßenprediger. Einmal nannte er sich selbst einen »Propheten von geringerem Rang« und schlug dann die Augen nieder.
    Manchmal hat Ábel das Gefühl, der Schuster wisse alles über sie. Erstaunliche Dinge sind ihm über die Stadt bekannt. Nur ganz selten hat er sich aus seinem Kellerloch herausgerührt, es ist, als versorgten ihn unsichtbare Meldegänger mit Nachrichten, denn hin und wieder verrät er mit einer Bemerkung, wie sehr er auf dem laufenden ist. Vor seinem Sohn redet er nie. Wenn Ernő eintritt, verbeugt sich der Schuster tief und verstummt. Er spricht stets mit Hochachtung von seinem Sohn, auch in dessen Anwesenheit, doch er redet ihn nie direkt an. Ábel betrachtet den Schuster nachdenklich. Wie immer, wenn er ihn besucht, schreckt er nach einiger Zeit davor zurück, mit dem Schuster offen zu reden. Auch vorhin auf der Straße überfiel ihn der unwiderstehliche Drang, zu Zakarka zu gehen und ihm alles zu sagen. Vielleicht muß ich ihn bitten, denkt er, die Lampe zu löschen. Im Dunkeln wäre es einfacher. Es ist erst einige Monate her, daß er sich mit dem Schuster angefreundet hat, davor wußte er überhaupt nichts von Ernős Vater. Wenn Ábel an ihn denkt, kann er kaum glauben, daß er verrückt sein soll. Zakarka war zeitlos. Ábel hat das Gefühl, ihm näherzustehen als anderen Erwachsenen. Es ist, als befinde sich auch der Schuster in
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