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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere
Autoren: Rainer M. Schroeder
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wo ist die Schatulle mit den Papyri?«
    »Da drüben auf dem Weg liegt noch jemand!«, rief Horatio, als der Khamsin kurzzeitig an Kraft verlor und die Sandwolken sich legten.
    Sie liefen zu der fremden Gestalt, die wie Pembroke mit dem Ge sicht im Sand lag. Das Einschlussloch im Rücken war nicht zu überse hen. Als sie die Leiche umdrehten, dauerte es einen kurzen Moment, bis sie das vollbärtige Gesicht wiedererkannten.
    »Allmächtiger!«, entfuhr es Byron. »Das ist der Perfectus! Die bei den müssen sich gegenseitig erschossen haben! Und da liegt auch die Schatulle. Aber sie ist leer!«
    »Wie um alles auf der Welt hat der Kerl uns hier gefunden?«, fragte Horatio. »Wie hat er es bloß geschafft, uns doch noch auf die Spur zu kommen und uns bis zum Kloster zu folgen, wo ihm doch so viele wichtige Informationen gefehlt haben?«
    »Auf diese Fragen werden wir wohl nie eine Antwort erhalten. Und sie sind auch ohne Bedeutung«, sagte Byron und bückte sich. Denn er hatte in der Hand des Toten ein Stück Papyrus entdeckt. Vorsichtig löste er es aus den zusammengekrampften Fingern. Es war nicht größer als seine Handfläche. »Was wir jedoch wissen, ist, dass die Judas-Papyri unwiederbringlich verloren sind. Der Khamsin hat sie mit sich gerissen und buchstäblich in alle Winde verstreut. Sie werden jetzt nur noch winzige Fetzen sein, die irgendwo von Sand begraben werden.« Er atmete tief durch und steckte den Fetzen Papyrus ein. Der unwiederbringliche Verlust berührte ihn nicht sonderlich. Er verspürte nicht mehr als ein schwaches Bedauern. Zu überwältigend war die Dankbarkeit, dem Tod entronnen und sich Harriets Liebe ge wiss zu sein. Dagegen wog der Verlust der Judas-Schrift so leicht wie ein Sandkorn im Vergleich zu einem mächtigen Felsblock. »Aber wenn wir uns jetzt beklagen würden, wäre das eine Versündigung.«
    Horatio nickte. »Bringen wir Alistair zum Boot!«
    »Und was ist mit diesen Leichen?«, fragte Harriet. »Irgendeine glaubhafte Geschichte müssen wir den Behörden morgen erzählen, allein schon wegen Alistair. Wir können ihn doch nicht hier irgend wo verscharren! Das lasse ich nicht zu.«
    »Das habe ich auch gar nicht vor und Horatio bestimmt auch nicht«, beruhigte Byron sie. »Uns wird schon etwas einfallen.«
    Auf dem Weg zur Anlegestelle beredeten sie, welche Geschichte sie den Behörden am besten auftischen und wie sie ihnen den Tod der drei Engländer erklären sollten, ohne sich dabei selbst in Teufels Küche zu bringen. Als sie Hasan aus dem Schlaf holten und er sah, dass sie mit einem Fremden und der Leiche ihres Freundes zurück kehrten, fuhr ihm der Schreck in die Glieder und er rief Allah um Bei stand an.
    Es dauerte eine Weile, bis sie ihn beruhigt hatten. Dann sagte By ron zu ihm: »Du tust gut daran, nichts zu wissen, Hasan. Absolut nichts. Du hast uns nur über den Fluss gebracht und dich dann schla fen gelegt! Kein Wort über unseren Sack, die Lampe und die Leiter!«, schärfte er ihm ein und zog vier Goldstücke aus seiner Börse. Eine der Münzen gab er ihm. »Wenn du dich daran hältst, wirst du auch keine Schwierigkeiten bekommen, dafür aber noch diese drei Gold stücke zusätzlich.«
    Hasan fielen fast die Augen aus dem Kopf. Dann nickte er eifrig. »Ich nichts wissen! Ich nichts hören und nichts sehen! Ich schlafen, Allah mein Zeuge!«
    Byron nickte. »Das kann er auch sein, denn es ist ja die Wahrheit!«
    Dann luden sie Alistairs Leichnam in die Canja und glitten hinaus auf den breiten dunklen Strom, der ruhig und unbeteiligt seiner Mündung entgegenfloss, wie er es schon seit Jahrtausenden getan hatte, völlig gleichgültig gegenüber den unzähligen Dramen und fröhlichen Ereignissen, die sich an seinen Ufern abgespielt hatten.
    Byron hielt Alistairs Hand während der ganzen Überfahrt, blickte starr in die Nacht und merkte nicht, dass ihm die Tränen über das Ge sicht liefen.

Epilog
    K einer von ihnen blickte zurück, als die Karnak im Hafen von Assuan vom Kai ablegte und mit ratternden Schaufelrädern hinaus auf den Strom dampfte. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen, die sie mit diesem Ort und dem Kloster jenseits der von Grabhöhlen durchlö cherten Anhöhe zu ihrer Linken verbanden.
    Geschlagene vier Tage hatte man sie festgehalten. Drei Tote vor den Mauern einer touristischen Sehenswürdigkeit waren mehr als genug gewesen, um die Behörden in helle Aufregung zu versetzen und negative Schlagzeilen in der ausländischen Presse befürchten zu lassen.
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