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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere
Autoren: Rainer M. Schroeder
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weiter.«
    »Worauf wartest du dann noch?«, rief Byron ungeduldig. Mittler weile schmerzten ihm die Arme, sodass er fürchtete, nicht mehr lan ge durchzuhalten. Was den Schacht anging, so war er sich jetzt si cher, dass sie sich unter den Türmen befanden. Vermutlich hatten die Mönche den Schacht gegraben, um auch von dort, wohl mithilfe eines Seils, in den Fluchtgang zu gelangen.
    Nach gut dreißig weiteren Schritten stieg der Gang allmählich an und wurde enger. Die Wände bestanden nun aus fast glattem Fels mit einigen Rissen und Spalten.
    »Hier ist Schluss!«, meldete Horatio. »Und hier sind Stufen aus dem Fels gehauen. Aber einen Ausgang kann ich nicht sehen.«
    »Lass uns Alistair kurz absetzen«, sagte Byron zu Harriet. Dann be gab er sich zu Horatio. »Halt mal die Lampe höher!«
    Der Lichtschein fiel auf eine Platte von unregelmäßiger Form, die jedoch an ihrer Unterseite glatt behauen war. Byron vermutete, dass ihre Oberfläche naturbelassen war, damit Fremde diesen Stein nicht als Verschlussplatte des unterirdischen Ganges erkannten. Rück wärts, in leichter Hocke und dann mit eingezogenem Kopf ging er die Stufen hoch, bis seine Schultern die Unterseite der Platte berühr ten. Dann stemmte er sich mit aller Kraft gegen den Widerstand und drückte sich mit den Beinen hoch.
    Die Platte hob sich. Byron versetzte ihr einen letzten kräftigen Stoß. Der Khamsin wehte ihm Sand ins Gesicht. Doch er lachte, wäh rend er sich in den Spalt zwängte und die Platte von der Öffnung wegschob. Sein Blick fiel auf dorniges Wüstengestrüpp, das den Zu gang fast kreisrund umschloss. Und dann bemerkte er direkt vor sich die felsige Hügelkette, die sich kurz hinter der Mauer mit den drei Turmruinen erhob und hinter der es in eine ähnliche Schlucht ging wie die, durch die man auf dem Weg von der Anlegestelle hinauf zur Anhöhe musste.
    Schnell stieg er wieder hinunter und trug Alistair mit Harriet ins Freie. Sie zwängten sich durch das dornige Gestrüpp und legten ihn nach dieser Anstrengung für eine kurze Atempause in den Sand.
    Alistair gab ein lang gezogenes Stöhnen von sich und öffnete dann mit flatternden Lidern die Augen. »Wo...wo sind... wir?«, röchelte er.
    »Wir haben es geschafft! Wir sind draußen! Wir sind dank dir in Freiheit!«, teilte Byron ihm mit.
    Alistair griff nach seiner Hand. »Dann . . . also doch noch...ein Royal Flush ...in meinem . . . letzten Spiel . . .«, kam es schwach von seinen Lippen.
    Byron schluckte und drückte Alistairs Hand. »Royal Flush! Das kann man wohl sagen. Damit hast du Pembroke ausgestochen!«
    Alistair lächelte, während ihm die Augen schon wieder zufielen. »Royal Flush . . .«, flüsterte er mit erstickter Stimme. »Und jetzt . . . holt euch . . . den fetten Pot! . . . Lasst ihn nicht . . . davonkommen!« Ein kurzes Zittern befiel seinen Körper. Dann sackte sein Kopf zur Seite weg und seine Hand wurde schlaff.
    Byron beugte sich ganz nahe zu ihm hinunter, hielt sein Ohr an Alistairs Lippen. Aber da war nicht mehr der geringste Hauch eines Atems zu spüren. Dann legte er ihm seine Finger auf die Halsschlag ader. Nichts.
    Mit einem Würgen in der Kehle richtete er sich auf. »Alistair ist tot«, sagte er leise.
    Harriet biss sich auf die Lippen.
    Niemand sagte etwas. Für einige lange Sekunden standen sie stumm um ihren toten Freund. Und so viele Bilder drängten sich ih nen in diesem Augenblick auf. Erinnerungen an sein entwaffnendes Grinsen, seine frechen Sprüche und seine Unbekümmertheit. Wie war er ihnen ans Herz gewachsen! Und es erschien ihnen unfassbar, dass Alistair nun nicht mehr mit ihnen zurück nach England reisen und sie nie wieder sein jungenhaftes Lächeln sehen und sich nie wie der mit ihm über Nietzsche oder sonst etwas in die Haare geraten würden.
    »Er war in Ordnung«, brach Horatio das Schweigen. »Ein verrückter Kerl . . . und ein guter Freund, wie man ihn sich besser nicht wün schen kann. Wir verdanken ihm unser Leben. Ich werde ihn nicht ver gessen.«
    Er und Trevor Seymour übernahmen es nun, Alistairs Leichnam zu tragen.
    Als sie wenig später an der Ostmauer entlanggingen, wären sie in der Dunkelheit und wegen der Sandwolken fast über den Leichnam von Lord Pembroke gestolpert. Fassungslos starrten sie im Licht der Lampe auf seine Leiche, die ein Einschussloch auf der Brust und eine Fleischwunde an der Schulter aufwies.
    »Mein Gott, wie kann das sein?«, stieß Harriet hervor. »Wer kann ihn denn bloß erschossen haben? Und
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