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Die Janus-Gleichung

Die Janus-Gleichung

Titel: Die Janus-Gleichung
Autoren: Steven Spruill
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PROLOG
     
     
     
    Die Frau, die sich Jill Selby nannte, wußte, daß sie Paul Essian gegen vier Uhr nachmittags im »Styx« treffen konnte, wo er sich Minze mit Kelaminen genehmigen würde. Sie ließ sich frühzeitig an einem Tisch nieder, der so weit wie möglich von der Marmor- und Onyxtheke der Bar entfernt lag, und wo, wie sie wußte, er sich meistens hinsetzte; noch war es nicht an der Zeit, daß er sie ansprechen sollte. An diesem Nachmittag würde er lediglich auf sie aufmerksam werden; er würde hinüber schauen, sie würde ihm auffallen, und er würde denken: Ich habe diese Frau doch schon vor zwei Tagen hier gesehen! Und eine Welle der Erregung würde durch seinen Körper laufen, so als ob er einen elektrischen Schlag erhalten hätte. Jill Selby strich sich über ihren wadenlangen Rock, damit der Schlitz sich öffnete und ihre Beine bis zur Mitte der Oberschenkel sehen ließ. Die Farbe des Rocks war ein tiefes Pflaumenblau, da das ihre schlanke Grazie und die Form ihrer Beine vollendet zur Geltung brachte, und da es Essians Lieblingsfarbe war, die Farbe, die ihn sexuell erregte. Sie ließ eine Hand unter den Tisch in ihren Schoß gleiten, spürte ihr Bein im Seidenstrumpf und fühlte sich wieder sicher.
    Ja, er würde sie ansehen, aber warum nur mußte sie es sich immer wieder versichern? Sie brauchte doch gar keine Beruhigung dieser Art, das einzige, das sie zu tun hatte, war abzuwarten. Aber was war, wenn irgend etwas schiefging? Wenn sie einen Fehler machte? Wenn sie ihrer Rolle nicht gewachsen wäre, oder das Spiel überreizte ? Ein paar winzige Schweißperlen glänzten auf ihrer Oberlippe, und sie nippte an ihrem Scotch mit Hypominen; das leicht beschlagene Glas diente ihr als Entschuldigung, um sich Mund und Hände mit der Serviette abzutupfen. Es würde alles gutgehen. Keine jener unvernünftigen Ängste, die sie in den vergangenen Wochen gequält hatten, würde sie jetzt heimsuchen. Er würde sie ansehen, aber nicht erkennen; wenn die Zeit reif war, würden sie sich begegnen, ganz natürlich, ohne daß er Verdacht schöpfte, und alles würde gutgehen.
    Während sich Jill an die geschwungene Rückenlehne ihres Stuhles lehnte, nahm sie den Schauer, der ihr Rückgrat hinablief, und der eine zwar beharrliche, aber nur zeitweise unter Umständen psycho-somatische, Nachwirkung der plastischen Operation war, kaum wahr. Es war nicht schmerzhaft und kam auch nur selten vor und nein, er würde sie nicht wiedererkennen. Sie ließ die Schultern nach vorne sinken und unterstützte die Bio-Feedbacks-Zyklen der Entspannung. Die Musik, die beständig aus den Lautsprechern hinter der Bar dröhnte, machte es ihr schwer, sich zu beruhigen. Die laute, aufpeitschende triebhafte Musik stürzte sie in einen Gefühlswirrwarr, sogar jetzt noch. Ein Teil der alten, tief im Unterbewußtsein verwurzelten Abneigung gegen die Lautstärke, das amorphe, sinnlose Gehämmer war noch immer vorhanden, aber die Musik war auch gleichzeitig aufregend, und das gefiel ihr. Sie wußte, daß es Essian nicht zusagte, und trotzdem kam er hierher, von einem unbewußten masochistischen Gefühl getrieben.
    Als ob sie ihn mit ihren Gedanken herbeigerufen hätte, trat Paul Essian durch den hölzernen Torbogen, um den sich schwarze geschnitzte Schlangen wanden, und steuerte zielsicher auf seinen üblichen Platz an der Bar zu, die sich an der hinteren Wand des Raumes befand. Die elastische Gestalt, die in dem nach der neuesten Mode gegürteten Mantel und den dunklen Hosen so mager wirkte, ließ ihr einen Augenblick lang den Atem stocken. Sie hatte keine Ahnung gehabt, wie dieser Teil der Sache aussehen würde; ob sie ihn wirklich so attraktiv finden konnte, daß sie, wenn es an der Zeit war, auch ohne Abneigung und ohne zu zittern würde tun können, was notwendig war. Aber sie fand ihn ungemein anziehend und fühlte, wie kleine Schauer sie überliefen, als er nur durch den Raum ging. Sein Haar war dick, widerspenstig. Das Gesicht wirkte hart, aber gleichzeitig sensibel, und der Körper befand sich in ständiger Bewegung, so wie der eines Kindes. Aber von seinen Händen fühlte sie sich am meisten angezogen. Sie konnte sie aus der Entfernung zwar nicht allzugut erkennen, aber doch gut genug. Es waren wohlgeformte, schöne Hände, in denen die natürliche Anmut seines Körpers noch unterstrichen und betont wurde. Die Hände drückten immer etwas aus, so wie jetzt, als er mit Zeige- und Mittelfinger sacht auf die Theke trommelte; ein Anzeichen seiner
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