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Die Jangada

Die Jangada

Titel: Die Jangada
Autoren: Jules Verne
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wirkliches Meer darstellen werde. Acht bis zehn Fuß hohes Gesträuch am Strande rahmte ihn mit einem wirklichen Walde von Rosen ein. Porto de Mos, Boa Vista und Gurupa, dessen frühere Blüthe mehr und mehr erlischt, blieben bald hinter dem Floße zurück.
    Hier theilt sich der Strom in zwei mächtige Arme, welche er nach dem Atlantischen Ocean ausstreckt; der eine verläuft nach Nordosten, der andere direct nach Osten, und beide umfassen die große Insel Marajo, welche eine wirkliche Provinz bildet. Sie mißt nicht weniger als hundertachtzig Meilen im Umfang. Vielfach durchsetzt von Sümpfen und kleinen Flüssen mit Savannen im Osten und großen Wäldern im Westen, eignet sie sich vorzüglich zur Viehzucht, welche hier in großartigem Maßstabe betrieben wird.
    Diese ungeheuere Barre von Marajo ist das natürliche Hinderniß, das den Amazonenstrom zwingt, sich zu theilen und seine Wassermassen durch zwei Arme in’s Meer zu ergießen. Folgte die Jangada dem oberen Arme, so würde sie, nach Passirung der Inseln Caviana und Mexiana, eine fünfzig Seemeilen breite Mündung gefunden haben, aber sie wäre auch der Pororoca ausgesetzt gewesen, jener schrecklichen Springfluth, welche in den drei, dem Neumond vorhergehenden Tagen und beim Vollmond binnen zwei Minuten, statt in sechs Stunden, den Strom zwölf bis fünfzehn Fuß über seinen niedrigsten Wasserstand aufzustauen vermag.
    Diese stürmische Fluthwelle richtet nicht selten großen Schaden an. Glücklicher Weise ist der untere, unter dem Namen des Kanals von Breves benannte Arm, der natürliche Ausfluß des Para, dieser furchtbaren Naturerscheinung nicht ausgesetzt, sondern zeigt nur die gewöhnlichen Phänomene der regelmäßigen Meeresfluth. Der Pilot Araujo kannte diese Arme ganz genau. Er steuerte also hinein mitten in prächtige Wälder, da und dort an kleineren Inseln mit Muritipalmen vorüber, und dazu war das Wetter so herrlich, daß man nicht einmal jene plötzlichen Stürme zu fürchten brauchte, welche sonst zuweilen durch den ganzen Kanal von Breves rasen. Einige Tage später kam die Jangada nach dem früheren Dorfe dieses Namens, das, obwohl es auf einem, mehrere Monate im Jahre überschwemmten Terrain steht, doch seit 1845 zu einer Stadt mit hundert Häusern emporgewachsen ist. Hier siedeln noch die Tapuyas, die Urbewohner des unteren Amazonenstromes, welche mehr und mehr in der weißen Race aufgehen und offenbar bald ganz verschwinden werden.
    Inzwischen glitt die Jangada weiter und weiter hinab. Hier streifte sie, auf die Gefahr hin, aufzulaufen, die Wurzeln gigantischer Mangobäume, welche sich wie riesige Krallen eines phantastischen Geschöpfes weit in’s Wasser hinaus erstrecken, dort die schlanken Stämme von Wurzelträgern mit blaßgrünem Laub, an welche man die langen Bootshaken anstemmte, um das Floß in die Strömung zurückzudrängen.
    Weiter gelangte man nach der Mündung des Toncatins, der seine, aus verschiedenen Rios der Provinz Goyaz gesammelten Fluthen dem Amazonenstrome durch eine weite Mündung zuführt; hinter diesem nach Moju und dann nach dem Flecken Santa Ana.
    Majestätisch entrollte sich das herrliche Panorama an beiden Ufern ohne Aufenthalt, als ob es ein unsichtbarer Mechanismus stromaufwärts verschöbe.
    Schon begleiteten zahllose Fahrzeuge, welche den Fluß hinabfuhren, Ubas, Egariteas, Vigilindas, Piroguen jeder Art, kleinere und mittlere Küstenfahrer aus den unteren Theilen des Amazonenstromes und von dem Strande des Atlantischen Oceans die riesige Jangada wie Schaluppen eines ungeheueren Kriegsschiffes.
    Endlich erschien zur Linken Santa Maria de Belem do Para, die »Stadt« wie man hier zu Lande sagt, mit ihren pittoresken, weißen, mehrere Stockwerke hohen Häuserreihen, ihren unter Palmen versteckten Klöstern, den Glockenthürmen der Kathedrale und der Kirche Nostra-Señora de Merced, ihrer Flottille von Goëletten, Briggs und Dreimastern, welche sie in rege Handelsverbindung mit der alten Welt setzt.
    Wie stürmisch klopfte den Passagieren der Jangada das Herz. Endlich sahen sie das Ziel der Reise vor Augen, welches sie nie zu erreichen geglaubt hätten. Konnten sie bei der Verhaftung Joam Dacosta’s, welche sie in Manao in der Mitte ihrer Reise zurückhielt, jemals hoffen, die Hauptstadt der Provinz Para zu erblicken?
    Am 15. October, vierundeinhalb Monat, seit sie die Fazenda von Iquitos verlassen, tauchte Belem hinter einer scharfen Biegung des Flusses zuerst vor ihnen auf.
    Seit mehreren Tagen schon war
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