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Die Jangada

Die Jangada

Titel: Die Jangada
Autoren: Jules Verne
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Wäldern Perus umher, in welchem sich der Oberlauf des Amazonenstromes sammelt.
    Torres war ein Mann von etwa dreißig Jahren, von kräftiger Constitution, auf welche, Dank seinem außergewöhnlichen Temperamente und seiner eisernen Gesundheit, die Strapazen eines so regellosen Lebens keinen Einfluß zu haben schienen.
    Er war von mittlerer Größe, breitschulterig, hatte regelmäßige Züge, ein sicheres Auftreten, das Gesicht von der glühenden Atmosphäre der Tropen gebräunt, und trug einen schwarzen Vollbart. Aus den, unter den eng zusammenstehenden Brauen halb versteckten Augen leuchtete ein lebhafter aber frostiger Blick, wie er zügellosen Naturen eigen zu sein pflegt. Selbst zur Zeit, als das heiße Klima ihn noch nicht gebräunt hatte, würde sein Gesicht gewiß niemals roth geworden sein, sondern hätte sich höchstens unter der Einwirkung verderblicher Leidenschaften verzerrt.
    Torres trug die sehr primitive Tracht der Waldläufer; Alles verrieth, daß sie lange im Gebrauch gewesen war; den Kopf bedeckte ein quergesetzter, breitkrämpiger Lederhut, an den Lenden hing eine Hofe aus grobem Wollenstoff, welche sich in den Schäften der starken Stiefeln verlor, welch’ letztere den solidesten Theil des gesammten Costüms bildeten; das Ganze umschloß ein verschoffener, gelblicher »Poncho«, vor dem weder die Jacke noch die Weste, welche des Mannes Brust bedeckten, zu sehen waren.
    Lebte Torres früher als Waldkapitän, so lag es doch auf der Hand, daß er dieses Geschäft jetzt, wenigstens unter den augenblicklichen Umständen, nicht mehr betrieb, dies erkannte man schon an seiner mangelhaften Ausrüstung mit den zur Verfolgung der Neger nöthigen Angriffs-und Vertheidigungswaffen. Er führte keine Feuerwaffen, weder Büchse noch Revolver. Im Gürtel stak nur eine sogenannte. »Manchetta«, welche mehr einem Säbel als einem Jagdmesser ähnelte. Daneben trug Torres noch eine », Enchada«, das ist eine Art Axt, vorzüglich angewendet bei der Jagd auf Nage-und Gürtelthiere, welche in den Wäldern des oberen Amazonenstromes in Ueberfluß vorkommen, während von eigentlich reißenden Thieren fast nichts zu befürchten ist.
    Auf jeden Fall war unser Abenteurer an jenem Tage, am 4. Mai 1852, ganz außerordentlich vertieft in die Lectüre des Schriftstückes, auf dem seine Augen hafteten, oder die Urwälder Südamerikas, welche er zu durchstreifen gewohnt war, ließen ihn trotz ihrer Pracht und Herrlichkeit kalt. Nichts vermochte ihn von seiner Beschäftigung abzulenken; weder das langgezogene Geschrei der Brüllaffen, das Saint Hilaire sehr treffend mit dem Dröhnen der Axt des Holzfällers vergleicht, wenn dieser Baumäste ablöst; noch das trockene Rasseln der Ringe einer Klapperschlange, welche allerdings den Menschen kaum angreift, aber freilich sehr giftig ist; weder die schreiende Stimme der gehörnten Kröte, der unter der Classe der Reptilien der Preis der Häßlichkeit zukommt, noch auch das sonore, tiefe Quaken des Ochsenfrosches, welcher, wenn er den Ochsen auch an Größe nicht übertrifft, diesem an Stärke der brüllenden Stimme doch gleichsteht.
    Torres hörte nichts von all’ diesem Heidenlärmen, gewissermaßen die Gesammtstimme der Urwälder der Neuen Welt. Am Fuße eines prächtigen Baumes hingestreckt, bewunderte er nicht einmal das hohe Astwerk dieses »Pao ferro« oder Eisenbaumes mit dunkler Rinde und einem Holze, so hart wie das Metall, dessen Stelle es an den Waffen und Werkzeugen der wilden Indianer vertritt. Im Gegentheil! Völlig von seinen Gedanken erfüllt, drehte und wendete der Waldkapitän das merkwürdige Document zwischen den Fingern. Mit Hilfe des ihm bekannten Schlüssels wußte er jeden Buchstaben richtig zu deuten; er las, überlegte den Sinn der für jeden Anderen gänzlich unverständlichen Zeilen, und ein böses Lächeln flog über seine Züge. Dann begann er halblaut einige Sätze zu murmeln, welche in der unermeßlichen peruvianischen Waldwüste doch Niemand hören, jedenfalls kein Mensch richtig verstehen konnte.
     

    Torres setzte seine Pfeife in Brand. (S. 13.)
     
    »Ja, ja, sagte er, das sind so gegen hundert recht sauber geschriebene Zeilen, die für Einen, den ich kenne, von unzweifelhafter hoher Bedeutung sind. Dieser Jemand ist sehr reich! Für ihn handelt es sich dabei um Tod und Leben – auf alle Fälle muß das etwas Tüchtiges abwerfen!«
    Noch einmal betrachtete er das Schriftstück mit gierigem Blicke.
    »Ein Conto Reis allein für jedes Wort dieses
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