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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau
Autoren: H. G. Wells
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ihre Stimmen drangen durch die Fenster; verschlossene Türen waren nur ein schwacher Schutz. Ich ging wohl auf die Straßen hinaus, um meine Täuschung zu bekämpfen, und herumschweifende Weiber miauten mir nach, Männer blickten mich verstohlen und mißtrauisch an, müde, blasse Arbeiter gingen vorbei, mit bellendem Husten, stumpfen Augen und schnellen Schritten, wie verwundetes Wild, das schweißt, alte Leute, gebeugt und matt, zogen an mir vorbei und sprachen knurrend mit sich selber, und ein zerlumpter Schwarm höhnender Kinder hüpfte auf nichts achtend hinterdrein. Dann floh ich in eine Kapelle, und selbst dort war mir so, als schwatze der Priester »große Dinge«, wie es der Affenmensch getan hatte; oder in eine Bibliothek, und dort schienen mir die gespannten Gesichter über den Büchern nur wie geduldige Geschöpfe, die auf Beute warteten. Besonders ekelhaft waren mir die leeren, ausdruckslosen Gesichter der Leute in Zügen und Omnibussen; sie schienen mir sowenig meine Mitgeschöpfe zu sein, wie es Leichen wären, so daß ich nicht zu reisen wagte, wenn ich nicht sicher war, allein zu sein. Und sogar ich schien mir kein vernünftiges Wesen zu sein, sondern nur ein Tier, das von einer seltsamen Verwirrung in seinem Gehirn geplagt wird, so daß es wie ein von der Drehkrankheit befallenes Schaf allein wandern muß.
    Diese Stimmung befällt mich jetzt aber - ich danke Gott - seltener. Ich habe mich aus dem Gewirr der Städte und Volksmengen zurückgezogen und verbringe meine Tage mit dem Lesen gelehrter Bücher - helle Fenster in diesem unseren Leben, erleuchtet von den glänzenden Seelen der Menschen. Ich sehe wenig Fremde und habe nur einen kleinen Haushalt. Meine Tage widme ich der Lektüre und chemischen Experimenten, und ich verbringe manche der klaren Nächte mit dem Studium der Astronomie. Bei der Betrachtung der glitzernden Scharen des Himmels habe ich - freilich weiß ich nicht, wie es kommt und warum - das Gefühl unendlichen Friedens und Schutzes. Dort, meine ich, in den ungeheuren und ewigen Gesetzen der Materie, und nicht in den täglichen Sorgen und Sünden und Sehnsüchten der Menschen, muß für das, was mehr als Tier in uns ist, Trost und Hoffnung Hegen. Ich hoffe - sonst könnte ich nicht leben. Und so endet meine Erzählung - in Hoffnung und Einsamkeit.

    EDWARD PRENDICK

Jorge Luis Borges
    Der frühe Wells

    Harris berichtete, daß Oscar Wilde, nach Wells befragt, antwortete: »Ein wissenschaftlicher Jules Verne.«
    Der Ausspruch stammt von 1899; man errät, daß Wilde weniger daran dachte, Wells zu definieren oder zu vernichten, sondern einfach das Thema wechseln wollte. Heute sind H. G. Wells und Jules Verne unvereinbare Namen. Dieses Gefühl haben wir alle; trotzdem mag eine Untersuchung der verwickelten Ursachen, auf denen unser Gefühl beruht, nicht ganz nutzlos sein.
    Die augenfälligste dieser Ursachen ist technischer Art. Wells war (bevor er sich mit soziologischer Spekulation begnügte) ein großartiger Erzähler, Erbe der Knappheit von Swift und Edgar Allan Poe; Verne dagegen ein fleißiger und frohgemuter Tagelöhner. Verne schrieb für junge Leute; Wells für Menschen jeden Lebensalters. Es gibt einen weiteren Unterschied, den Wells selber einmal angedeutet hat: Vernes Fiktionen behandeln wahrscheinliche Dinge (ein Unterseeboot; ein Schiff, das größer ist als die Schiffe von 1872; die Entdeckung des Südpols; die sprechende Photographie; die Überquerung Afrikas im Ballon; die Krater eines erloschenen Vulkans, die zum Mittelpunkt der Erde hinabführen); die von Wells bloße Möglichkeiten (ein unsichtbarer Mensch; eine Blume, die einen Menschen verschlingt; ein kristallenes Ei, das die Vorgänge auf dem Mars widerspiegelt), wenn nicht gar Unmögliches: ein Mensch, der aus der Zukunft mit einer künftigen Blume wiederkehrt; ein Mensch, der aus dem Jenseits mit dem Herzen auf der rechten Seite wiederkommt, weil man ihn völlig umgedreht hat wie in einem Spiegel. Ich habe gelesen, daß Verne, verdutzt über die Freiheiten, die sich ›The First Men in the Moon‹ herausnehmen, entrüstet ausgerufen haben soll: »Il invente!«
    Die Gründe, die ich angeführt habe, scheinen mir stichhaltig, erklären aber nicht, warum Wells dem Autor von ›Hector Servadac‹ wie auch Rosny, Lytton, Robert Paltock, Carno oder jedem anderen, der seine Methoden vorwegnahm, unendlich überlegen ist. [Wells rühmt in ›The Outline of History‹ (1931) aufs höchste das Werk zweier anderer Vorläufer:
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