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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau
Autoren: H. G. Wells
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Einzelheiten und von der Qual einer unaufhörlichen Unruhe, nur eines, was zu berichten ist. Also will ich nur von diesem entscheidenden Ereignis erzählen, das sich während der zehn Monate zutrug, die ich als Vertrauter dieser halbmenschlichen Bestien verlebte. Vieles haftet mir im Gedächtnis, was ich berichten könnte, Dinge, die zu vergessen ich freudig meine rechte Hand hergäbe. Rückblickend erscheint es mir seltsam, wie schnell ich mich an die Art dieser Wesen anpaßte und meine Zuversicht wiedergewann. Ich bekam natürlich Streit, und ich könnte noch ein paar Narben von Bißwunden herzeigen, aber die Tiermenschen hatten bald einen gesunden Respekt vor meiner Art, Steine zu werfen, und vor meinem Beil. Und mein Bernhardinerhundemensch war mir ein treuer Freund und leistete mir unschätzbare Dienste. Die Rangordnung der Tiermenschen gründete sich einfach auf die Fähigkeit, möglichst tiefe Wunden beizubringen. Ja, ich kann - ohne Eitelkeit, hoffe ich - sagen, daß ich unter ihnen so etwas wie eine hervorragende Stellung einnahm. Einer oder zwei von ihnen, die ich bei verschiedenen Streitigkeiten ziemlich arg zugerichtet hatte, trugen mir das nach, aber ihr Groll machte sich, meist hinter meinem Rücken und in sicherer Entfernung wegen meiner Geschosse, in Grimassen Luft.
    Das Hyänenschwein mied mich, und ich war stets auf der Hut vor ihm. Mein treuer Hundemensch haßte und fürchtete es intensiv. Ich glaube wirklich, daß das die Wurzel seiner Anhänglichkeit war. Mir war bald klar, daß jenes Ungeheuer Blut gekostet hatte wie der Leopardenmensch. Es bereitete sich ein Lager irgendwo im Walde und wurde zum Einzelgänger. Einmal versuchte ich, das Tiervolk zur Jagd darauf zu bewegen, aber mir fehlte die notwendige Autorität. Immer wieder versuchte ich, die Höhle des Hyänenschweins zu beschleichen und es unvermutet zu überfallen, aber stets war es auf der Hut, sah oder witterte mich und lief fort. Und es machte durch sein Lauern jeden Waldpfad für mich und meine Verbündeten gefährlich. Der Hundemensch wagte kaum, meine Seite zu verlassen.
    Im ersten Monat war das Tiervolk so menschlich, daß ich für zwei oder drei Tierwesen außer meinem Hundefreund sogar freundschaftliche Duldung empfand. Das kleine, rosige Faultiergeschöpf entfaltete eine sonderbare Liebe zu mir und begann, mir überallhin zu folgen. Der Affenmensch jedoch plagte mich. Er nahm aufgrund seiner fünf Finger an, er sei meinesgleichen, und schnatterte ewig auf mich ein, schnatterte heillosen Unsinn. Eines an ihm unterhielt mich ein wenig. Er hatte eine phantasievolle Art, neue Worte zu bilden. Ich glaube, er stellte sich vor, sinnlose Namen herzuplappern sei gleichbedeutend mit richtigem Sprechen. Das nannte er »große Dinge«, im Unterschied zu »kleinen Dingen« - den vernünftigen Alltagsinteressen des Lebens. Wenn ich einmal eine Bemerkung machte, die er nicht verstand, dann lobte er sie sehr, bat mich, sie noch einmal zu sagen, lernte sie auswendig und wiederholte sie - hier und dort mit einem verkehrten Wort - vor allen Sanfteren vom Tiervolk. Was klar und verständlich war, verachtete er. Ich erfand ein paar sehr sonderbare »große Dinge« für seinen speziellen Gebrauch. Ich glaube jetzt, er war das albernste Geschöpf, das mir je begegnet ist; er hatte auf die wundervollste Art die verschiedensten Torheiten des Menschen entwickelt, ohne eine Spur von der natürlichen Narrheit eines Affen zu verlieren.
    So ging es mir in den ersten Wochen meiner Einsamkeit unter diesen Bestien. In dieser Zeit achteten sie die vom Gesetz eingeführten Sitten und benahmen sich mit Anstand. Einmal fand ich wieder ein zerrissenes Kaninchen - das Hyänenschwein war der Täter, davon bin ich überzeugt -, aber das war alles. Erst gegen Mai merkte ich eine zunehmende Veränderung in ihrer Sprache und Haltung; ihre Aussprache wurde heiserer, und sie redeten auch nicht mehr so gerne. Das Schnattern meines Affenmenschen nahm an Umfang zu, wurde aber immer unverständlicher, immer affenartiger. Einige von den anderen schienen ihre Gewalt über die Sprache ganz zu verlieren, obgleich sie noch erfaßten, was ich ihnen sagte. Kann man sich vorstellen, wie die einst klare und genaue Sprache gleichsam ausgehöhlt wird, Gestalt und Klangwert verliert und wieder zu bloßen Schallmassen wird! Auch der aufrechte Gang bereitete den Tiermenschen wachsende Schwierigkeit. Obgleich sie sich offenbar schämten, traf ich doch hin und wieder den einen oder anderen,
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