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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau
Autoren: H. G. Wells
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Francis Bacons und Lukians von Samosata.] Die größere Qualität seiner Plots allein reicht nicht aus, das Problem aufzuklären. In nicht allzu kurzen Büchern kann der Plot nur Anlaß oder Ausgangspunkt sein. Er ist wichtig für die Durchführung des Werks, nicht für den Lesegenuß. Das läßt sich in allen Gattungen feststellen; die besten Kriminalromane sind nicht die Romane mit dem besten Plot. (Wenn der Plot alles wäre, gäbe es den ›Don Quijote‹ nicht, und Shaw wäre weniger wert als O’Neill.) Meiner Ansicht nach gibt es für den Vorrang der frühen Romane von Wells - ›The Island of Dr. Moreau‹ beispielsweise oder ›The Invisible Man‹ - tiefere Gründe. Was dort erzählt wird, ist nicht nur geistreich, sondern auch symbolisch für Vorgänge, die irgendwie allen menschlichen Schicksalen innewohnen. Der heimgesuchte unsichtbare Mann, der gleichsam mit offenen Augen schlafen muß, weil seine Lider das Licht nicht abschirmen, ist unsere Einsamkeit und unser Grauen; das Geheimkolleg kauernder Ungeheuer, die in der Finsternis, die sie umgibt, ein serviles Credo näseln, ist der Vatikan und ist Lhasa. Jedes dauerhafte Werk ist unendlicher und plastischer Mehrdeutigkeit fähig; es ist alles für alle, wie der Apostel Paulus; es ist ein Spiegel, der die Gesichtszüge des Lesers wiedergibt, und zugleich eine Weltkarte. Auch muß es dies alles auf kaum faßbare und unaufdringliche Weise sein, fast ohne Zutun des Autors; es muß so aussehen, als hätte dieser keine Ahnung von irgendwelchem Symbolismus. Mit dieser scharfsinnigen Naivität verfuhr Wells in seinen ersten phantastischen Übungen, die für mich das Bewundernswerteste in seinem bewundernswerten Werk sind.
    Wer sagt, die Kunst dürfe keine Lehren verbreiten, versteht darunter in der Regel jede Lehre, die seiner eigenen zuwiderläuft. Bei mir ist das natürlich nicht der Fall; ich begrüße dankbar nahezu alle Lehren von Wells und bekenne mich zu ihnen; ich beklage nur, daß er sie in seine Erzählungen eingeschaltet hat. Als guter Erbe der britischen Nominalisten tadelt Wells unsere Angewohnheit, von der Hartnäckigkeit »Englands« zu sprechen oder den Machenschaften »Preußens«; die Argumente gegen diese schädliche Mythologie scheinen mir unwiderleglich, nicht jedoch der Umstand, daß er sie in die Geschichte vom Traum des Mister Parham eingeschoben hat. Solange ein Autor sich darauf beschränkt, Vorfälle zu berichten oder die kaum wahrnehmbaren Verirrungen eines Bewußtseins nachzuzeichnen, können wir ihn für allwissend halten, ihn mit dem Universum oder mit Gott verwechseln; sobald er sich zum Räsonieren herabläßt, wissen wir, daß er fehlbar ist. Die Wirklichkeit arbeitet mit Tatsachen, nicht mit Überlegungen; wir lassen uns von Gott die Behauptung gefallen »Ich bin, der ich bin« (Exodus 3,14), nicht jedoch, daß er etwa wie Hegel und Anselm das argumentum ontologicum erklärte und analysierte. Gott darf nicht theologisieren; der Schriftsteller darf nicht mit menschlichen Begründungen den Augenblicksglauben entkräften, den die Kunst von uns verlangt. Ein weiteres Motiv: Der Autor, der einer Figur gegenüber Abneigung zeigt, scheint sie nicht ganz verstehen zu können, scheint zuzugeben, daß sie für ihn nicht unumgänglich ist. Wir mißtrauen seiner Intelligenz, wie wir der Intelligenz eines Gottes mißtrauen würden, der Himmel und Höllen betreibt. Gott, schrieb Spinoza ( Ethik 5,17), verabscheut niemanden und liebt niemanden.
    Wie Quevedo, wie Voltaire, wie Goethe, wie mancher andere ist Wells nicht so sehr ein Literat als eine Literatur. Er hat geschwätzige Bücher geschrieben, in denen irgendwie die titanische Seligkeit von Charles Dickens wiederaufsteigt; er hat soziologische Parabeln in Fülle ausgestreut, Enzyklopädien aufgetürmt, die Möglichkeiten des Romans erweitert, für unsere Zeit das Buch Hiob, diese große hebräische Imitation des platonischen Dialogs , neu geschrieben, ohne Überheblichkeit und ohne Demut eine äußerst ansprechende Autobiographie verfaßt, den Kommunismus, den Nazismus und das Christentum bekämpft, eine (höfliche und tödliche) Polemik gegen Belloc geführt, die Geschichte der Vergangenheit und der Zukunft geschrieben, wirkliche und imaginäre Lebensläufe dargestellt. Nichts in der ausgedehnten und vielseitigen Bibliothek, die er uns hinterlassen hat, gefällt mir mehr als seine Berichte über einige gräßliche Wunder: ›The Time Machine‹, ›The Island of Dr. Moreau‹, ›The
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