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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau
Autoren: H. G. Wells
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versuchte, beträchtlichen Lärm machen mußte. Die Geschöpfe hatten auch vergessen, wie man Feuer machte, und ihre Furcht davor zurückgewonnen. Ich versuchte noch einmal, diesmal voller Schaffenskraft, ein Floß für meine Flucht zusammenzuzimmern.
    Ich stieß auf tausend Schwierigkeiten. Ich bin ein außerordentlich ungeschickter Mensch, aber schließlich gelang es mir doch, ein halbwegs solides Floß zusammenzubasteln, denn diesmal gab ich auf die Stärke acht. Das einzige unüberwindliche Hindernis war, daß ich kein Gefäß für Trinkwasser hatte. Ich hätte mich sogar in der Töpferei versucht, aber auf der Insel gab es keinen Ton. Ich ging grübelnd hin und her und versuchte mit aller Macht, diese letzte Schwierigkeit zu lösen. Bisweilen gab ich mich wilden Ausbrüchen der Wut hin und zerhackte und zersplitterte in meiner unerträglichen Gereiztheit irgendeinen unglücklichen Baum. Aber mir fiel nichts ein.
    Und dann kam ein Tag, ein wundervoller Tag, den ich in Ekstase verbrachte. Ich sah ein Segel im Südwesten, das kleine Segel eines Schoners, und alsbald zündete ich einen großen Haufen von Buschholz an und stand in dessen Hitze und in der Hitze der Mittagssonne daneben und spähte nach dem Schiff. Den ganzen Tag lang beobachtete ich dieses Segel und aß und trank nichts, so daß mir der Kopf wirbelte; und die Tiere kamen und starrten mich an, und es war, als wunderten sie sich, und sie gingen wieder weg. Das Boot war noch fern, als die Nacht kam. Die ganze Nacht hindurch rackerte ich mich ab, um mein Feuer hell und hoch zu halten, und die Augen der Bestien leuchteten verwundert aus dem Dunkel. In der Morgendämmerung lag das Segel näher, und ich sah, daß es sich um das schmutzige Rahsegel eines kleinen Boots handelte. Meine Augen waren müde, und ich starrte und konnte ihnen nicht glauben. Zwei Menschen waren im Boot, der eine saß im Bug, der andere am Steuer. Aber das Boot segelte merkwürdig. Der Bug war nicht vor den Wind gestellt; es gierte hin und her und fiel ab.
    Als der Tag heller wurde, winkte ich den Leuten mit dem letzten Fetzen meiner Jacke; aber sie beachteten mich nicht und saßen einander noch immer still gegenüber. Ich ging zum niedrigsten Punkt des Vorgebirges und gestikulierte und rief. Es kam keine Antwort, und das Boot beharrte in seinem ziellosen Lauf und trieb langsam, sehr langsam in die Bucht. Plötzlich flog aus dem Boot ein großer weißer Vogel auf, und keiner der beiden Männer rührte sich oder beachtete ihn. Der Vogel kreiste herum und schwebte mit weit ausgebreiteten Flügeln über mich hin.
    Da hörte ich auf zu rufen und setzte mich auf der Landzunge hin und stützte das Kinn in die Hände und starrte hinaus. Langsam, langsam trieb das Boot nach Westen vorbei. Ich wäre hinausgeschwommen, aber irgend etwas, eine kalte, unbestimmte Furcht hielt mich zurück. Nachmittags wurde der Kahn von der Flut hereingespült, und er blieb hundert Meter westlich von den Ruinen der Ummauerung liegen.
    Die Männer darin waren tot, waren schon so lange tot, daß sie in Stücke zerfielen, als ich das Boot auf die Seite kippte und sie herauszerrte. Einer hatte einen Schopf roten Haars wie der Kapitän der Ipecacuanha , und auf dem Boden des Boots lag eine schmutzige weiße Mütze. Als ich bei dem Boot stand, kamen drei der Bestien aus den Büschen geschlichen und schnüffelten an mir herum. Mich überkam einer meiner Ekelanfälle. Ich stieß das kleine Boot den Strand hinunter und kletterte an Bord. Zwei von den Bestien waren Wolftiere, und sie kamen mit bebenden Nüstern und glitzernden Augen heran; die dritte war das furchtbare Mischwesen aus Bär und Bulle.
    Als ich sie so herankommen sah und sie einander anknurren hörte, befiel mich ein wildes Grauen. Ich wandte ihnen den Rücken zu, strich das Segel und begann aufs Meer hinauszupaddeln. Ich konnte es nicht über mich bringen zurückzublicken.
    Aber ich blieb diese Nacht zwischen Riff und Insel liegen, und am nächsten Morgen steuerte ich die Mündung des Baches an und füllte das leere Faß an Bord mit Wasser. Dann sammelte ich mit meinem letzten Rest an Geduld einen Vorrat an Früchten und tötete mit meinen letzten drei Patronen zwei Kaninchen. Währenddessen hatte ich das Boot aus Furcht vor den Ungeheuern an einem Vorsprung des Riffs verankert.

22
    Der Mensch allein

    Am Abend fuhr ich los und trieb mit einem leichten Wind aus Südwesten langsam und stetig aufs Meer hinaus, und die Insel wurde kleiner und kleiner, und die
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