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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder
Autoren: Jennifer McMahon
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schossen Fotos, und einer hatte auch eine Videokamera. Vielleicht spielten die alle in einem Film – in so einem wie die, in denen Laura Lee mitgespielt hatte. Vielleicht waren das lauter Filmstars.
    «Und wo wohnst du, Suzy?», fragte Joe.
    Sie sagte es ihm. Sie erzählte, das Haus ihrer Grandmaliege da drüben, hinter dem Wäldchen, aber Grandma wohne eigentlich nicht da, sondern weit weg in einem Hotel für Leute, die Medikamente für den Kopf nehmen. Ihr Daddy repariere gerade die Fliegengitter vor den Fenstern, weil das Haus verkauft werden solle. Sie erzählte auch, dass sie nachher, wenn Daddy fertig sei, Grandma Laura Lee besuchen würden, die unten am See in einem verblichenen rosa Wohnwagen wohnte und hundert Vogelfutterhäuschen vor der Tür hatte. Laura Lee liebte Vögel. Sie hatte ein weißes Unterseeboot im Garten stehen, das in Wirklichkeit ein Propangastank war, aber Suzy glaubte seit jeher, das müsse ein ganz besonderes, privates Unterseeboot für die Erforschung des Seebodens sein. Laura Lee war ein bisschen verrückt, zumindest sagte Suzys Daddy das immer, aber Suzys Mom erklärte dann, jeder Mensch sei eigentlich ein bisschen verrückt.
    Vermutlich waren dann sogar Suzys Mom und Dad ein bisschen verrückt. Als Kinder hatten sie hier in den Wäldern gespielt. Und der Stapel halbverfaulter Bretter war einmal eine Bühne gewesen, auf der Mommy ein Krokodil gewesen war und Daddy Peter Pan.
    Der Polizist stellte ihr noch immer Fragen und wollte wissen, wie oft sie hier herauskam, wie alt sie war, in welche Klasse sie ging und ob ihr Daddy wusste, wo sie war. Da rief einer der Männer in grün-beiger Uniform nach ihm.
    «Sergeant Crowley, wir haben etwas gefunden!»
    Der Sergeant namens Joe ging hinüber, trat durch den Kreis von Männern und aufgeregt bellenden Hunden, kniete sich hin und spähte in das Loch, das mit den Brettern zugedeckt gewesen war.
    «Ruft die Spurensicherung», sagte er. «Ich möchte das ganze Team hier draußen haben. Und sperrt das Gelände ab! Jetzt sofort!»
    Die Mäusebabys fiepten, weil sie Futter und ihre Mama wollten, aber Suzy sagte ihnen, sie sollten still sein, wegen der Hunde. Sie sprang aus dem Chevrolet, hüpfte über die Tür, die schon seit Jahren verklemmt war, und schlich sich hinter die Männer. Sie ging auf alle viere, spähte zwischen den Beinen eines der Polizisten hindurch und sah etwas da unten in dem Loch – alte Kleider, schmutzig, rot und zerfetzt. Aber gerade als sie anfing, wirklich etwas zu erkennen, gerade als sie sah, dass das Bündel Augen, Zähne und Haarbüschel hatte, nahm Sergeant Joe sie auf den Arm. Dann erklärte er, hier hätten kleine Mädchen nichts zu suchen, bat sie, ihm zu zeigen, wo ihr Daddy sei, und sagte, sie brauche keine Angst zu haben, er bringe sie jetzt nach Hause.

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    5.   Juni 2006
    In Rhonda Farrs Leben gab es zwei Peters: den Peter, den sie liebte, aber nicht haben konnte, und Peter, den weißen Hasen, dem sie anscheinend, ganz ähnlich wie Alice im Wunderland ihrem Kaninchen, ins Unbekannte folgen musste. Das Kaninchen von Alice hieß natürlich gar nicht Peter. Der einzige Peter Hase, den Rhonda kannte, war der aus dem Kinderbuch von Beatrix Potter. Und das war ein ganz gewöhnliches braunes Kaninchen mit einem weißen, flauschigen Schwanz, das ständig in Mr.   McGregors Garten eindrang und dem armen Kerl alles wegfraß.
    Rhondas Peter Hase sah völlig anders aus, war aber identisch mit dem Hasen von Ernestine Florucci: ganz weiß und, wie Rhonda der Polizei erzählt hatte, ungefähr eins achtzig groß.
    «Ein Hase?», hatte der Ermittlungsbeamte gefragt und den Stift gezückt, um ihre Aussage in seinem schwarzen Notizbuch festzuhalten. «Ein Meter achtzig groß? Sind Sie da sicher?»
    Auch wenn die Polizei skeptisch war, glaubte Ernestines Mutter Trudy Rhondas Geschichte ohne Weiteres. Sie glaubte ihr, weigerte sich aber, ihr zu verzeihen.
    Ernestines, Trudys und Rhondas Leben – und vielleicht jedermanns Leben in Pike’s Crossing – hatte sich in rund drei Minuten für immer verändert. So viel Zeit, wie man braucht, um ein weiches Ei zu kochen.
     
    Ostern war schon lange vorbei, als Peter Hase vor Rhondas Augen erschien und die kleine Ernestine einfach mitnahm. Es war der 5.   Juni, und Rhonda hatte bei
Pat’s Mini Mart
gehalten, um vor der Fahrt nach Burlington, wo sie an diesem Nachmittag ein Vorstellungsgespräch erwartete, noch zu tanken. Sie war fast schon zu spät dran, musste aber trotzdem tanken,
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