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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder
Autoren: Jennifer McMahon
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wo so was überhaupt nicht vorkommen sollte. Dasjedenfalls hatte Suzy den Gesprächen der Erwachsenen entnommen, die so redeten, als wäre man in Vermont eigentlich gegen alles Böse gefeit.
    Sie bediente den Tauchhebel des U-Bootes , um noch tiefer nach unten zu gehen, und dachte dabei an etwas, das sie letzte Woche in den Nachrichten gesehen hatte – etwas über Ernestine. Aber ihr Daddy war aufgesprungen und hatte den Fernseher abgeschaltet, bevor Suzy alles richtig hören konnte. Der Nachrichtenmann im blauen Anzug hatte von einer Beichte berichtet, und Suzy wusste: Beichten, das war, wenn man mit einem Priester mit weißem Kragen in eine kleine Kammer trat. Als der Fernseher aus war, hatten sich ihre Eltern flüsternd unterhalten. Anschließend waren sie alle zusammen Softeis essen gegangen. Suzy hatte Schokoladeneis und Ahornsirupeis gemischt genommen und obendrauf Schokoraspel.
    «Was machst du denn da?», fragte der Mann Suzy ganz freundlich. Er stand jetzt unmittelbar neben ihr, die Hände auf die Tür mit dem zernarbten roten Lack gelegt. Er trug eine grüne Uniformjacke mit einem Abzeichen an der Brust, und in der Hand hielt er ein Funkgerät. Dieser Mann war ein Polizist. Mit Pistole und allem Drum und Dran.
    Sie sah blinzelnd zu ihm auf, und das Licht der Mittagssonne hinter den Bäumen umgab ihn mit einer Art Strahlenkranz, wie bei einem Engel. So sah die Welt manchmal unmittelbar vor einem Anfall aus – so als hätte alles seine eigene Aureole, als wäre alles heilig.
    Suzy hörte Hundegebell, das immer näher kam, dann auch Menschenstimmen, das Knacken von zertretenen Zweigen und die von statischem Rauschen unterlegtenStimmen aus den Funkgeräten. Ein Trupp kam den mit Tannennadeln bedeckten Pfad entlang, der zum See führte. Wollte man sie vielleicht verhaften? Hatten ihre Eltern die Polizei geschickt, damit sie nachprüfte, ob Suzy wieder einmal verbotenerweise hier spielte?
    «Wie heißt du denn?», fragte der Mann. Er hatte kurzes dunkles Haar und ein Grübchen im Kinn. «Wohnst du hier in der Nähe?»
    Mit Polizisten durfte sie reden. Doch, bestimmt. Suzy blinzelte.
    «Ich heiße Joe», sagte der Mann und streckte ihr die Hand hin.
    Sie ergriff sie und schüttelte sie. Seine Hand war weich und warm und so glatt wie ein Baseballhandschuh von außen. Sie gab nach und nannte ihren Namen.
    «Das ist ein sehr hübscher Name für ein sehr hübsches Mädchen.»
    Sie hasste diese Art von Unterhaltung, dieses ganze «Was für ein hübsches Mädchen, hübscher Name, hübsches Haar, hübsches Haarband», diesen «Du siehst aus wie ein kleiner Engel»-Quatsch, den die Erwachsenen so gerne von sich gaben. Und dann das Gezwinker und Genicke, und zum Schluss tätschelten sie ihr noch den Kopf, um mal zu fühlen, wie lockig ihre Locken wirklich waren.
    Gleich darauf waren die Hunde da, und mit ihnen Männer in Uniformen und mit breitkrempigen Hüten, die mit den Füßen im Laub wühlten, auf den Boden schauten und sich von den Hunden hin und her zerren ließen. Es waren große Schäferhunde, Polizeihunde, die beißen konnten, die einem glatt die Hand zerfetzen konnten. Suzy hatte imFernsehen eine Sendung über einen Mann gesehen, der blind war und sich von einem Hund helfen lassen musste. Ein ganz besonderer Hund, der ihm half, die Straße zu überqueren, in den Bus zu steigen oder einkaufen zu gehen. Das waren kluge Hunde, diese Schäferhunde.
    Die Polizeihunde stürzten sich auf den Stapel mit halbverfaulten Brettern, von deren rostigen Nägeln man Wundstarrkrampf kriegen konnte, und sie heulten, bellten und scharrten auf dem Boden, als lägen unter den Brettern Hamburger versteckt oder irgendwelche Hunde-Leckerli. Oder vielleicht auch Drogen. Hunde konnten Drogen erschnüffeln, das wusste sie aus der Schule, von Officer Friendly, der einmal den Drogenspürhund Sam, seinen treuen Begleiter, mitgebracht hatte. Sam trug ein Ledergeschirr, genau wie der Hund des Blinden, so als wäre Officer Friendly ebenfalls blind, sozusagen riechblind, weil er es nicht merkte, wenn Drogen da waren oder weil er vielleicht überhaupt keine Gefahren bemerkte ohne seinen Sam. Hunde konnten hundertmal besser riechen als Menschen, sie konnten über Meilen hinweg Dinge wahrnehmen. Hunde waren zuverlässig, freundlich und treu. Hunde sabberten. Ihre Pfoten rochen wie Tortilla-Chips. Manchmal stanken sie aus dem Maul, als wäre ihnen ein Stück Aas in der Kehle stecken geblieben.
    Die Männer in Uniform zerrten an den Bretten, einige
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