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Die Insel der Krieger

Die Insel der Krieger

Titel: Die Insel der Krieger
Autoren: Christina Manz
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nicht getröstet. Man hatte sie tragen oder gar hinunterschleifen müssen. Zwei Jahre erst war es her, dass Ilias Bruder, halb besinnungslos vor Angst, an einem rauen Wi n termorgen von den Dorfleuten zu dem kleinen Steg gebracht worden war. Nalig selbst fühlte weder Angst noch Stolz, während die Nebel um ihn her auch sein Inneres zu füllen schienen. Vielleicht hätte er sich besser gefühlt, wenn er eine Wahl gehabt hätte. Doch im Grunde wusste er, dass er seinem Ende nicht entgehen konnte. Die Dorfleute würden nicht zulassen, dass er floh. Zu groß war die Angst vor dem entsetzlichen Zorn der Göttin und den Gefahren, vor denen sie Eda schützte. In diesem Fall stand das Wohl des Königreiches über dem des Einzelnen. So hatten sich die ausgewählten Jungen mehr oder weniger freiwillig dem Willen der Göttin gebeugt. Es war Naligs O p fer, das die Leute hatte aufmerken lassen. Nie zuvor war es geschehen, dass in so rascher Folge zwei Leben gefordert wurden. Weshalb war die Göttin so unersättlich? Wurden die Schatten, die das Land bedro h ten, dunkler? Das Ziel war erreicht. Tiefschwarz lag der See vor Nalig und seinem Geleit. Nun begann das Warten. Nalig, dem der Ablauf weniger vertraut war, war nicht sicher, worauf alle warteten. Doch so hatte er Gelegenheit, sich umzusehen. Er versuchte, in den Gesichtern der Umstehenden zu lesen. Was zeigten sie? Betroffenheit? Mitgefühl? Furcht? Ein Gesicht jedoch fehlte in der Menge. Ilia war nicht g e kommen. Nalig war nicht sicher, ob er enttäuscht darüber war und weshalb dies der Fall hätte sein sollen. Schließlich hatte sie sich bereits am Tag zuvor von ihm verabschiedet – falls man das so nennen wollte.
    Nalig war gerade dabei gewesen, neue Scharniere am Gatter der Schafweide anzubringen. Dabei hatte er die Blicke seines Vaters im Nacken gespürt, der bereits seit dem frühen Morgen Feuerholz schlug und dabei immer wieder ein ersticktes Schluchzen vernehmen ließ. Darauf bedacht, sich nicht umzuwenden, ging Nalig seiner Arbeit nach, als er die zierliche, kleine Gestalt den Hang hinaufkommen sah. Als sie kaum mehr hundert Schritte entfernt war, legte er sein Wer k zeug weg und ging ihr entgegen. »Willst du zu mir? « , fragte er neugi e rig. »Ich wollte dich noch einmal sehen. « »Weshalb? Gehst du weg? « »Nein, ich nicht. « Sie schwiegen. »Ich habe hier etwas für dich«, meinte Ilia und zog etwas aus der Tasche ihres Kleides. Sie legte einen kleinen, grünen Stein in Naligs Hand, der genau die Farbe ihrer Augen hatte. »Aber den hast du von deinem Bruder bekommen«, wandte der Junge ein und streckte dem Mädchen den Stein entgegen. »Er ist wertvoll und soll deinem Mann einmal dabei helfen, ein Heim für euch zu errichten. « »Sei nicht albern«, entgegnete sie. »Kein Mann, der noch bei Verstand ist, würde mich zu seiner Frau nehmen. « Sie klappte seine Finger über den Stein, sodass er ihn fest in der Faust hielt. »Das kann ich unmöglich annehmen. « Betroffen starrte Nalig auf seine Schuhe. Ihr Geschenk rührte ihn, doch er fühlte sich nicht wohl dabei, dass sie den einzigen Schatz, den sie besaß, hergab, ausgerechnet ihm, wo er doch am nächsten Tag schon keine Verwendung mehr dafür haben würde. »Das musst du aber. Es ist unhöflich, ein Geschenk ausz u schlagen. « Sie lächelte. »Na schön, dann habe ich auch etwas für dich. « Nalig vergrub die Hand in seiner Manteltasche und zog die Kette seiner Mutter hervor. Ein filigraner Anhänger hing daran. Es war eine Taube. Naligs Vater hatte seiner Verlobten einst Kette samt Anhänger geschenkt, in der Hoffnung auf eine sorglose Zukunft. Doch wie es schien, war nun auch für Nalig jede Hoffnung verloren. Er öffnete den Verschluss und legte Ilia die Kette um. »Aber die gehörte deiner Mu t ter«, bemerkte sie und berührte den Anhänger, der zwischen ihren Schlüsselbeinen hing. »Sie wurde gefertigt, um von einem jungen, hübschen Mädchen getragen zu werden. Und das wird sie nun. « Das Mädchen lächelte und umarmte ihn. Doch kaum hatte Ilia ihre Stirn an seine Brust gelegt, begann sie bittere Tränen in seinen Mantel zu we i nen. »Es wird alles gut«, versprach Nalig und strich ihr sachte durchs Haar. »Nein, wird es nicht«, entgegnete sie und sah ihn aus trotzigen Augen an. »Gib meinem Bruder einen Kuss von mir«, bat sie ihn. »Wenn er mich lässt«, erwiderte Nalig und brachte damit kurz das Lächeln in ihr Gesicht zurück. Dann wandte sie sich um und ging. Einfach so.
    Nalig
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