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Die Insel der Krieger

Die Insel der Krieger

Titel: Die Insel der Krieger
Autoren: Christina Manz
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um es zu bearbeiten, war gelöscht und die Schmiede daher so finster wie die Nacht draußen. Unbeholfen mit den Armen um sich greifend, folgte er Ilia, die ihn mit sich zog bis hin zu der Werkbank voll unfertiger oder beschädigter Werkzeuge. Das Mädchen lehnte sich dagegen und Nalig blieb vor ihm stehen. Schweigend versuchte er ihre Gesichtszüge auszumachen, um zu erkennen, was sie dachte. Er fühlte sich ein wenig unbehaglich, mitten in der Nacht alleine mit ihr im Dunkel, während er ihren Vater im ersten Stock schnarchen hörte. »Ich glaube, es wäre mir lieber, wenn du nicht gehen würdest«, meinte Ilia leise. »Ich bin doch hier. « »Ich meine nicht jetzt. « Sie richtete sich auf und war ihm plötzlich sehr nahe. Viel näher, als er es zum Zwecke einer normalen Unterhaltung gutgeheißen hätte. »Ich meine in zwei Tagen«, hauchte sie. Nalig spü r te ihren Atem auf seiner Haut und sein Magen verkrampfte sich. Er wusste nicht, ob es wirklich daran lag, dass ihm wieder bewusst wurde, wie knapp seine Zeit doch bemessen war. Ihr Ärmel streifte seine Hand, als sie die ihre hob, um sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Das Herz des Jungen tat einen sehr schmerzhaften Schlag. »Ich wünschte wirklich, du könntest hier bleiben. In Serefil. Bei mir. «
    Dichter Nebel hing in den Tälern, als Nalig am Morgen des dritten Tages seinen Weg hinunter zum See antrat. Er trug das Gewand, das eigentlich für den Tag seiner Hochzeit bestimmt war. Sein Vater, der offensichtlich mit aller Kraft um Fassung rang, begleitete ihn. Doch dabei blieb es nicht. Immer mehr Menschen – Dorfbewohner, die Nalig mehr oder weniger gut kannte – schlossen sich ihnen an. Einige umarmten ihn oder spendeten tröstende Worte. Nichts von all dem schaffte es, bis in Naligs Bewusstsein vorzudringen. Er nahm kaum etwas wahr, während er durch den Nebel glitt, der seine Kleidung durchdrang und sich nass und kalt auf seine Haut legte. Der Junge konnte nicht einmal behaupten, für die Bewegung seiner Beine ve r antwortlich zu sein, so unwirklich schien ihm sein ganzes Dasein im Augenblick. Er selbst war nie einem dieser Züge gefolgt, als es galt, eine andere unglückliche Seele zum See hinunter zu geleiten. Der See… Im Grunde hatte er Naligs Schicksal besiegelt. Er und die Ta t sache, dass Serefil so dicht an seinem Ufer lag. Andernfalls hätte er das Gewand, das er nun trug, in wenigen Jahren dem Zwecke entgegeng e tragen, zu dem es bestimmt war. Das Königreich Eda, dessen Serefil nur ein sehr kleiner Teil war, stand, seit man sich zurückerinnern konnte, unter dem Schutz einer großen Göttin. Einer jahrhundertea l ten Überlieferung nach lebte sie auf einer Insel in eben jenem Gewä s ser, zu dem Nalig nun hinab schritt. Der See war so groß und meist so von Nebel verhangen, dass niemand die Insel je gesehen hatte. Fisch e rei war streng verboten, denn alles, was in diesem Wasser lebte oder es jemals berührt hatte, gehörte fortan der Göttin. Dass es die Insel und auch die Göttin wirklich gab, war jedoch gewiss. Denn der Schutz, den das Königreich durch sie genoss, forderte seinen Tribut. In unrege l mäßigen Zeitabständen wurden der mächtigen Beschützerin Opfer gebracht. Jene erwählte die Göttin selbst. Es handelte sich dabei stets um junge Männer, die oft eher noch heranwachsende Knaben waren. Die Schutzherrin erschien, wie man sich erzählte, obgleich sie niemand jemals gesehen hatte, in Gestalt eines weißen Löwen und brannte ein Zeichen vor die Tür derjenigen, die das nächste Opfer bringen sollten. Stets fiel die Wahl dabei auf Bewohner Serefils und stets erschien das Zeichen über Nacht. Der Abdruck einer gewaltigen Pranke, der in den Boden eingebrannt war und wie von Feuer noch tagelang leuchtete und erst am zehnten Tag zur Gänze verschwand, hatte sich zuletzt vor Naligs Elternhaus gefunden und gezeigt, dass die Wahl auf ihn gefallen war. An diesem Morgen war die Erde vor der Pforte des kleinen Ha u ses wieder eben und weich gewesen. Am Abend zuvor hatte Nalig bereits festgestellt, dass der Abdruck sich schwarz verfärbt hatte. Alles deutete nun also darauf hin, dass die Zeit für ihn gekommen war. Zu hoffen blieb, dass sein Opfer für eine Weile den Blutdurst der Göttin stillen und das Königreich vor Unheil bewahren würde. In dieser Hoffnung waren viele erhobenen Hauptes diesen Weg gegangen – stolz, ihrem Land, ihrem König und den Menschen von Nutzen sein zu können. Andere hatte dieser Gedanke
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