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Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen

Titel: Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
Autoren: GABAL Verlag
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KAPITEL 1
Schwerkraft: Niemand hat gesagt, es wird leicht
    »Wir sind jetzt gerade im Sommer der Entscheidungen. Und dann kommen der Herbst und dann der Winter der Entscheidungen. Jetzt kommen überhaupt nur noch Entscheidungen.« ANGELA MERKEL, 2005
    Drei Streifen am Ärmel. Jahrelang habe ich auf sie hingearbeitet, habe alles darangesetzt, Hindernisse überwunden, Opfer gebracht. Ich wusste sehr genau, was ich wollte. Pilot zu sein war schon als Kind für mich dasselbe wie frei zu sein. Einen Jet dorthin lenken, wohin ich will. Einen weithin sichtbaren Kondensstreifen am Himmel hinterlassen. Das Steuer in der Hand halten, für hunderte Menschen die Verantwortung tragen. Das war mein Wunsch gewesen, dafür habe ich alles gegeben. Nun habe ich es endlich erreicht. Meine Pilotenausbildung ist beendet. Ich bin angekommen.
    23.34 Uhr. Ich liege im Hotelzimmer auf dem Bett und lasse die vergangene Woche noch einmal an meinem inneren Auge vorüberziehen. Meine ersten Einsätze als Linien-Pilot. Zwei Mal nach Hamburg und zurück, gestern dann ein Flug nach Wien. Fünf Stunden Aufenthalt und gleich wieder retour. Morgen noch einmal Österreich. Der Einstieg in die große weite Welt.
    Ich lehne mich in meinem Kissen zurück und betrachte die ausgebürstete Uniform, die an der Wand gegenüber hängt. Die Streifen glänzen matt im Mondlicht. Ich denke an die Crew; sie ist sehr gut, ein eingespieltes Team. Ich denke an die Maschine, eine Dash-8, 50 Sitze. Ein gutes Flugzeug, robust, ohne Mucken.
    Eigentlich ist alles bestens. Aber ich bin unruhig, der Schlaf will nicht kommen. Ich mache noch einmal das Licht an, um zu schauen, ob der Wecker richtig gestellt ist. 4.10 Uhr. Um 5.20 Uhr trifft sich die Crew am Flughafen, geplanter Start nach Wien 6.20 Uhr. Das Wecksymbol leuchtet auf dem Display. Alles klar.
    Alles klar? Nein. Eben nicht alles klar!
    Wie ein Zentnergewicht erdrückt mich plötzlich die Vorstellung, dass ich so wie die vergangene Woche auch die nächsten Jahrzehnte nach Dienstplan fliegen werde. Dass ich die Nacht zum Tage und den Tag zur Nacht machen werde, um Geschäftsleute und Touristen quer über den gesamten Globus zu transportieren. Das kann es nicht sein. Ich will das nicht! Und es war noch nicht einmal ein Vierteljahr ins Land gegangen! Dass mich die Realität so schnell einholt, erwischt mich kalt.
    Reiß dich zusammen! Knick jetzt nicht ein!
    Ich sitze auf der Bettkante und gehe hart mit mir ins Gericht: Reiß dich zusammen! Knick jetzt nicht ein! Willst du deinen Lebensplan etwa in Frage stellen? Du hast doch genau gewusst, worauf du dich einlässt. Du hast so viele Opfer gebracht, um bis hierher zu kommen! Fünf Jahre nebenberuflich gebüffelt, knapp 100 000 Euro in die Ausbildung gesteckt, auf Urlaub verzichtet, und jetzt auf einmal sagst du »Och nö. Macht mir doch keinen Spaß«? Das kommt nicht in Frage! Wenn du jetzt ausscheidest, ist das alles für die Katz gewesen. Jetzt das Handtuch zu werfen wäre doch reiner Wahnsinn …
In den Sand gesetzt
    Die Erkenntnis, dass man in seinem Leben aufs falsche Pferd gesetzt hat, kann schleichend kommen. Dann wird aus einem anfangs noch kaum spürbaren Unbehagen eine störende Missstimmung, die du noch ganz gut wegdrücken kannst. Doch aus dem merkwürdigen Gefühl wird schließlich ein Klumpen im Bauch, der dich Tag für Tag, Stunde für Stunde begleitet.
    Oder es haut dich um wie eine Dampflok.
    Ob tausend Nadelstiche oder ein Hammerschlag: In beiden Fällen gibt es den einen Zeitpunkt, an dem dir klar ist: Das war’s. Du musst eine Entscheidung treffen. Ein Richtungswechsel ist angesagt. Weg von dem, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, hin zu dem, was besser zu dir passt.
    Hört sich einfach an. Ist aber mit das Schwerste, was du im Leben stemmen musst. Wenn es dich tröstet: Den Unternehmen, der Politik und der Gesellschaft geht es nicht besser. Hier sitzen Topentscheider, ganze Vorstände, Kommissionen, Fachgremien – ein ganzes Arsenal an Instrumenten und Personen, dessen Existenzberechtigung nichts anderes ist, als Entscheidungen zu treffen. Und das Ergebnis? Ich möchte hier nicht von Stuttgart 21, Bildungsnotstand, Langzeitarbeitslosigkeit und verpassten Hybridautos reden. Die sprechen für sich selbst.
    Fast jeder kommt in seinem Leben an einen Punkt, an dem es gilt, reinen Tisch zu machen. Und das wahrscheinlich nicht nur einmal! Doch statt die fällige Entscheidung zu treffen, die Konsequenz aus der Erkenntnis zu ziehen, macht man
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