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Die Insel der Krieger

Die Insel der Krieger

Titel: Die Insel der Krieger
Autoren: Christina Manz
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Nalig betrat das Haus und blieb am Küchenfen s ter stehen. Nach einer Weile sah er, wie sein Vater die Schafe hinaus auf die Weide trieb. Im Grunde konnte er den alten Mann sogar ve r stehen. Er hatte in seinem Leben nicht viel Glück gehabt und schon einige Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Vor fast 18 Jahren war seine Frau gestorben, kurz nachdem sie Nalig zur Welt gebracht hatte. Anders als die meisten Ehen war diese nicht aus Besitzgründen oder auf Anraten von Verwandten geschlossen worden. Gegen den Willen seiner Eltern und trotz übler Nachrede der Nachbarn hatte Naligs Vater damals die Tochter des Gerbers zur Frau genommen, die zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kind von ihm erwartete. Und nur drei Monate später hatte er sie gehen lassen müssen, nachdem sie ihm in seiner glücklichsten Stunde einen Sohn geschenkt hatte. Vor zwei Jahren erst war die Hälfte des Stalls abgebrannt und ein Großteil der Schafe an einer Seuche verendet. Und nun sollte der an den Rand der Existenz getriebene Mann seinen einzigen Sohn und Erben, die letzte helfende Hand auf dem Hof, verlieren.
    Nalig nahm einen Becher und schöpfte Milch aus einem Bleche i mer neben der Tür. Langsam drehte er ihn in den Händen und starrte in die weiße Flüssigkeit. Trotz all seiner Bemühungen, Verständnis für seinen Vater aufzubringen, kränkte ihn dessen scheinbar fehlende Anteilnahme an seinem eigenen Schicksal. Als Nalig es schließlich leid war, sich in Selbstmitleid zu ertränken, stellte er seinen Becher beiseite und ging nach draußen. Er würde den Zaun reparieren, was sein Vater nicht mehr zu bewerkstelligen in der Lage war. Er würde die Löcher im Dach flicken, was er schon seit dem letzten Winter vorhatte und er würde den Stall wieder aufbauen, wie er es seinem Vater vor zwei Jahren versprochen hatte. Bisher hatte ihn der Trugschluss, dass ihm noch viel Zeit bliebe, die Arbeit immer wieder aufschieben lassen. Die körperliche Anstrengung hatte etwas Befreiendes. Zum einen beschä f tigte sie ihn und zum anderen fegte sie überschüssige Gedanken beise i te. Als Nalig den letzten Zaunpfahl in die Erde trieb und die Dämm e rung schon angebrochen war, blieb sein Vater, der gerade die Schafe von der Weide zurückbrachte, bei ihm stehen. »Du musst das nicht tun«, meinte er, ohne seinen Sohn anzusehen. Er hatte die gleichen braunen Augen und das gleiche widerborstige Haar. Überhaupt sah der Mann seinem Sohn erstaunlich ähnlich, auch wenn die Falten, die sich tief in seine Stirn gegraben hatten, eine Verwechslung ausschlossen. »Was soll ich denn sonst tun? « , fragte Nalig, der versuchte, sich seine Bitterkeit nicht anmerken zu lassen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Naligs Vater legte die Hand auf einen der Pfähle und rüttelte daran, wie um die Arbeit zu prüfen. Er schien zufrieden, dennoch schüttelte er den Kopf. »Es ist zum Verzweifeln. Da arbeitet man sein Leben lang für die Familie und den Hof und wenn man meint, man sei aus dem Gröbsten raus, dann so etwas. « Nalig lehnte schweigend an dem neuen Zaunpfahl. Fast hatte er das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. »Würden wir Krieg führen oder wäre es wenigstens ein Unfall. Aber so erscheint es mir furchtbar sinnlos. « »Das ist es nicht«, vers i cherte der Junge. Sein Vater blickte ihn an und Nalig sah die Furcht, die sich in seinem Gesicht zeigte. »Ich will dich nicht gehen lassen«, murmelte er. »Es wird dir nichts anderes übrig bleiben. « Einen Auge n blick lang war es still. »Was wäre, wenn wir einfach gehen würden? Irgendwohin, wo uns niemand kennt, um noch einmal von vorn anz u fangen? « Eine Eule rief laut in einem nahestehenden Baum und ließ die Gestalt des Mannes zusammenzucken. »Damit würden wir das Dorf verraten und ich glaube nicht, dass es uns weiterhelfen würde zu fliehen. « »Wir könnten es wenigstens versuchen. Es gibt nichts, was wir zu verlieren haben. « Nalig schüttelte den Kopf. »Um nichts in der Welt würde ich dieses Dorf verlassen. « Er war selbst überrascht, wie entschlossen er sich anhörte. Der Mann nickte einsichtig. »Du bist alles, was mir von ihr geblieben ist«, meinte er dann dumpf und rief seinen Hund, um die Schafe wieder zusammenzutreiben. Nalig sah ihm nach, während die zunehmende Dunkelheit ihn verschluckte. Er wusste, dass sein Vater von seiner Mutter sprach. In der Tat war auch Nalig nichts von ihr geblieben als die kleine Halskette, die sein Vater ihr zur Verlobung geschenkt hatte und
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