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Die Insel der Krieger

Die Insel der Krieger

Titel: Die Insel der Krieger
Autoren: Christina Manz
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Serefils Opfer
    N alig war ein hochgewachsener Junge von 17 Jahren, der als Sohn eines Viehzüchters in einem kleinen Dorf am Rande des Königreichs Eda lebte und in drei Tagen würde er sterben. Das Erstaunliche an dieser Tatsache war, dass er weder an einer Krankheit litt noch drohte, einer Verletzung zu erliegen. Überhaupt hatte noch vor wenigen Tagen nichts dagegen gesprochen, dass Nalig seinen 18. Geburtstag erlebte. Drei Sonnenaufgänge blieben ihm jetzt noch. Genau genommen w a ren es eher zwei, wenn man jenen abzog, dessen erste Sonnen strahlen Nalig gerade geweckt hatten. Erstaunt darüber, dass er tatsächlich Schlaf gefunden hatte, lag der Junge nun mit weit geöffneten Augen in seinem Bett und starrte an die Decke seiner Kammer, an der sich die Holzbalken nach unten bogen. In den Bäumen vor seinem Fenster begrüßten die Vögel mit ihrem Gesang den neuen Tag, als wäre alles wie immer. Nalig drehte sich in seinem Bett und drückte das Gesicht fest in sein Kissen, um nichts mehr von der Welt sehen und hören zu müssen, die, ungerecht wie sie war, niemals müde wurde, die Familien der einfachen Leute zu zerstören. Doch leider bekam er so überhaupt keine Luft, weshalb er schließlich seine Decke beiseite warf und au f stand. Über der Kommode, die außer seinem Bett das einzige Möbe l stück im Zimmer war, hing ein kleiner, gesprungener Spiegel. Nalig warf einen prüfenden Blick hinein. Wie gewöhnlich blickte er in die tiefbraunen Augen eines Jungen mit hohen Wangenknochen und markanten Gesichtszügen. Sein braunes Haar hing ihm fransig in die Stirn und stand an manchen Stellen eine Hand breit vom Kopf ab, was so früh am Morgen eher die Regel als eine Ausnahme war. Der Junge, der ihm entgegenblickte, wirkte etwas müde, sah ansonsten jedoch genau so aus, wie man es vom Sohn eines Bauern erwarten würde. Der Boden knarrte unter seinen Füßen, als Nalig zur Tür und die Treppe hinunterging. Das Haus war sehr alt. Naligs Familie bewohnte es schon seit vielen Generationen. Nun lebte er hier alleine mit seinem Vater, einem griesgrämigen Mann, der seit einigen Tagen sogar noch wortkarger war als gewöhnlich. In der Küche angelangt, konnte Nalig ihn durch das Fenster auf das Gemüsebeet einhacken sehen. Im A u genblick verspürte der Junge nicht das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Also verließ er das Haus durch die Hintertür. So entging er nicht nur einem möglicherweise unangenehmen Gespräch, sondern vermied auch einen weiteren Blick auf das unheilvolle Zeichen, das vor dem Haus noch immer deutlich zu erkennen war.
    Da es noch früh am Morgen war, begegneten Nalig auf seinem Weg nur wenige Menschen. Sie senkten die Blicke, als sie ihn erkannten. Einige verneigten sich vor ihm, andere gingen furchtsam rascher ihres Weges. Nalig beachtete sie nicht. Er hatte in den vergangenen Tagen gelernt, mit ihren vieldeutigen Blicken zu leben. Tief sog er die kalte Morgenluft ein, die nach Regen roch und eben nach allem, was für ein Dorf üblich war und die zum ersten Mal auch diesen Hauch mit sich trug, der ihn immer so wehmütig stimmte und vom Herannahen der kalten Jahreszeit kündete. Wie tausende Male zuvor ging Nalig durch die Straßen und Gassen des Dorfes. Gerade heute war er sich all der Dinge besonders bewusst, die sonst so selbstverständlich für ihn gew e sen waren. Kindergeschrei drang aus den Zimmern des Hauses der Farecks, deren einzige Lebensaufgabe darin zu bestehen schien, die Nachkommenschaft des gesamten Dorfes zu sichern, der Hund des Metzgers bellte wütend hinter dem verschlossenen Hoftor, das Schild am Hause des Barbiers schwang im Wind und ließ ein rostiges Kni r schen vernehmen. Möwen machten sich auf dem Marktplatz über das her, was die Händler am Tag zuvor dort zurückgelassen hatten und aus der Schmiede war das unermüdliche »Klonk, Klonk« zu hören, das den Boden vor der Tür erschütterte. Stets hatte Nalig geglaubt, den Rest seiner Tage in diesem Dorf zu verbringen, wo er einmal mit seiner Frau und seinen Kindern im Haus seiner Eltern leben und den Hof seines Vaters übernehmen würde, um dort alt zu werden und schlie ß lich sein Lebenswerk in die Hände seiner Söhne zu übergeben. Und auch wenn er, wie alle heranwachsenden jungen Männer, gelegentlich Abenteuerlust verspürt und die Vermutung gehegt hatte, zu Höherem berufen zu sein, so hatte er doch nie geglaubt, dieses Dorf einmal zu verlassen. »Wie sehr man sich doch täuschen kann«, dachte Nalig, während er den
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