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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft
Autoren: Horst Biernath
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meiner Zusage ein wenig voreilig gewesen.“
    „Ich richte mich ganz nach Ihnen.“
    Sie erhob sich, um auf ihr Zimmer zu gehen. Ein paar Minuten später verließ auch er die Halle, vom Tee und von der Aussicht auf das Abenteuer erwärmt und beschwingt.
    ,Und wenn mich der Abend hundert Mark kosten sollte’, dachte er und streckte den Rücken durch, ,Mr. Stanton Grey wird es jedenfalls nicht sein, der diese Frau bekommt!’ Er kostete ihn ein wenig mehr und riß ein tiefes Loch in seine Börse, aber was hätte er nicht ausgegeben, um Jutta Wendland zu erobern! Wenn es notwendig werden sollte, dann mußte eben Oskar Vollrath für Nachschub sorgen. Er hatte sich ja freiwillig dazu erboten.
    Jutta Wendland erschien in einem bernsteinfarbenen Kleid aus Honanseide. Der Ausschnitt war von atemberaubender Kühnheit, die Raffung des Stoffes schien bei jeder Bewegung auseinanderzuspringen. Sie hatte die flachen Reiseschuhe mit hochhackigen Pumps vertauscht und erschien dadurch noch höher gewachsen, noch eleganter und noch auffallender. Sie überragte Wilhelm Ströndle um einen halben Kopf, und er hatte immer eine Schwäche für große Frauen gehabt, eine platonische Schwäche, denn Martha verstand in solchen Sachen keinen Spaß... Als sie mit dem Cape über dem Arm die rot-ausgelegte Treppe herunterkam, zog sie die Blicke der Hallengäste wie ein Magnet an, und Wilhelm Ströndle mußte eine Unsicherheit in den Beinen überwinden, als er sich aus seinem Sessel erhob, in dem er auf sie gewartet hatte.
    „Sie sind die bezauberndste Frau, der ich je in meinem Leben begegnet bin!“ murmelte er, als er sich über ihre Hand beugte.
    ,Und du bist der reichste Mann, der mich je eingeladen hat’, dachte sie, als er sie zum Wagen führte. ,Aber du scheinst keine Ahnung davon zu haben, wie angenehm man sich das Leben machen kann, wenn man das nötige Kleingeld besitzt; und das werde ich dir in einem Schnellkursus beibringen!’
    Sie speisten bei Bonacasa, einem Italiener, dessen Küche und dessen Toscana-Weine ihrem guten Ruf entsprachen. Auch hier unter zahlreichen gutaussehenden und kostbar gekleideten Frauen erregte Jutta Wendland Aufsehen, und Wilhelm Ströndle sonnte sich in dem Glanz, den sie verbreitete. Später nahmen sie ein paar Drinks in einer Bar am Piccadilly-Circus, in der ein Pianist die Gäste dezent unterhielt. Nach dem dritten Ginflip wurde Wilhelm Ströndle, nachdem er sich den ganzen Abend in blendender Laune unterhalten hatte, ein wenig melancholisch: „Wollen Sie mir glauben“, fragte er schwermütig, „daß ich die Abende in meinem Leben, an denen ich so aufgekratzt gewesen bin wie heute, an meinen Fingern abzählen kann?“
    Sie glaubte es ohne weiteres, denn sie langweilte sich tödlich, aber sie spielte erschrecktes Erstaunen: „Sie Armer...!“ sagte sie mit einem dunklen Unterton zärtlichen Bedauerns.
    „Manchmal träume ich davon, alles stehen und liegen zu lassen und auf und davon zu gehen und zu leben, einfach zu leben und das Leben zu genießen. Allzuviel Zeit habe ich ohnehin nicht mehr.“
    „Wie jung Sie sind!“ sagte sie leise und legte die Hand sekundenlang auf seinen Arm: „Manchmal kommen Sie mir vor wie ein Bub, der seinen Eltern durchgehen möchte...“
    Er sah sie überrascht an; sie war der Wahrheit ziemlich nahe gekommen: „Sie haben recht — so ist mir tatsächlich zumute...“
    „Und weshalb tun Sie es nicht?“ lockte sie, „weshalb werfen Sie den ganzen Kram nicht einmal wenigstens für ein halbes Jahr hin? — Sie können es sich doch wahrhaftig leisten, so zu leben, wie Sie wollen.“
    „Das sagen Sie so leicht hin, mein liebes Fräulein Jutta. Aber man löst sich nicht so einfach aus dem Geschirr, in das man nun einmal eingespannt ist.“
    Sie fuhr erschreckt zusammen und preßte plötzlich die Hände vor die Brust...
    „Was haben Sie?“ rief er besorgt und folgte ihrer Blickrichtung.
    „Oh, ich habe mich getäuscht — aber diese Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend!“ Sie starrte einem Herrn nach, der soeben eingetreten war und zur Garderobe ging. Es war ein auffallend gut aussehender Mann von etwa dreißig Jahren, schlank, breitschultrig, mit einem Lackhelm schwarzer Haare auf dem gutgeformten langen Schädel. „Ich dachte, es sei Stanton Grey — mein Verlobter...“
    „London hat immerhin acht Millionen Einwohner“, sagte er leicht verstimmt darüber, daß dieser Name gefallen war, und auch darüber, daß dieser elegante Bursche mit Stanton Grey solch
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