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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft
Autoren: Horst Biernath
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Wagen näherte sich dem Hotel, und der Chauffeur fragte, ohne sich umzudrehen, ob die Herrschaften noch eine kleine Bummelfahrt machen wollten.
    „Nein!“ antwortete Jutta Wendland, „setzen Sie uns ab!“
    Sie schaltete die Deckenbeleuchtung ein und betrachtete ihr Gesicht sorgfältig im Handtaschenspiegel, aber ihr. Lippenstift war kußfest, jedenfalls kußfest genug für Wilhelm Ströndles Bemühungen. Vorsorglich puderte sie sich Nase und Wangen.
    „Ein reizendes und ruhiges Haus, das Belford“, sagte sie, kurz bevor der Wagen vor dem Hotel hielt, „und sehr vornehm. Wir dürfen uns nichts anmerken lassen, Bill. Ich weiß nicht, wie du darüber denkst, aber meinst du nicht, wir würden im Ritz oder im Claridge bedeutend ungezwungener leben?“
    Es dauerte eine kleine Weile, bis er sie begriff. Auch verwirrte es ihn, daß sie ihn Bill genannt hatte. Bill Ströndle - er schmeckte den Namen auf der Zunge ab und fand ihn großartig und seiner Millionen würdig: „Natürlich, Liebling!“ rief er beglückt, „laß mich morgen nur noch meine Besprechung mit Fullard erledigen. Später ziehen wir dann selbstverständlich um!“
    Wilhelm Ströndle — Bill Ströndle — nahm das Frühstück allein ein; dunklen, sehr aromatischen Tee, Eier, etwas Schinken, und eine bittere, aber ausgezeichnete Orangenmarmelade. Es war ihm trotz seines mangelhaften Englisch gelungen, Mr. Fullard telefonisch zu erreichen, und Fullard, der ein tadelloses, fast akzentfreies Deutsch sprach, hatte ihn auf zehn Uhr in sein Büro bestellt. Die Mappe mit den Papieren trug er bei sich, und kurz vor zehn setzte ihn sein Taxi vor einem Eingang von White-hall ab. Er nannte dem Portier seinen Namen, der Mann schien über seinen Besuch unterrichtet zu sein und gab ihm einen Botenjungen mit, der ihn über endlose Treppen und kahle Korridore zu einem Vorzimmer führte, in dem ein mürrisch aussehender, kahlköpfiger Beamter an einem hohen Stehpult schrieb und seine Arbeit unterbrach, als der Boy Wilhelm Ströndles Namen ausrief.
    „You are Mr. Ströndle?“
    „Yes, am! Mr. Fullard is waiting for me...“
    Der Kahle machte bei Wilhelm Ströndles Englisch ein Gesicht, als bekäme er Zahnschmerzen, aber er ging und öffnete eine Doppeltür: „Mr. Ströndle, Sir!“
    Mr. Fullard, den sich Wilhelm Ströndle trotz gelegentlicher Renommagen — durch den Titel Sekretär verführt — als Subalternen vorgestellt hatte, schien einen ziemlich hohen Posten zu bekleiden. Er war ein überschlanker Mann von etwa sechzig Jahren, trug ein großes flaches Einglas im rechten Auge und hatte mit dem eisengrauen, straffen Haar über einem Adlergesicht etwas vom alten Chamberlain an sich. Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch und kam Wilhelm Ströndle fast bis zur Tür entgegen.
    „Treten Sie näher, Herr Ströndle, und seien Sie willkommen!“ rief er liebenswürdig und schüttelte Wilhelm Ströndles Hand; „wenn Sie nicht zu mir gekommen wären, dann hätte ich Sie in Deutschland besucht, schon um den größten Glückspilz persönlich kennenzulernen, der mir je im Leben begegnet ist!“
    Er führte Wilhelm Ströndle zu einem hochlehnigen Lederstuhl an der Schmalseite des Schreibtisches, auf dem ein paar Aktenbündel lagen.
    „Sie sprechen ein ausgezeichnetes Deutsch, Mr. Fullard. Leider ist mein Englisch mehr als dürftig...“
    „Oh, ich habe in Heidelberg und Bonn studiert und war ein paar Jahre lang als Botschaftsattache in Berlin. Es ist allerdings lange her.“
    Er musterte Wilhelm Ströndle durch sein Einglas mit unverkennbarer, aber freundlicher Neugier, als betrachte er im Londoner Zoo das soeben eingetroffene Exemplar einer neuentdeckten, höchst seltsamen Spezies. „Nun, Sie scheinen den Schock gut überstanden zu haben, Herr Ströndle — denn ein Schock, wenn auch ein freudiger, war es doch wohl, als Sie mein erstes Schreiben mit der Nachricht von der Millionenerbschaft empfingen, nicht wahr?“
    „Gewiß, Mr. Fullard, es war wie ein Schlag — und ich gestehe Ihnen offen, daß ich den vollen Umfang der Nachricht wohl noch immer nicht ganz erfaßt habe.“
    „Es wäre mir nicht anders ergangen. Aber sagen Sie, haben Sie bereits Pläne für die Zukunft?“
    „Unklare Pläne vorläufig, aber ich werde mich wahrscheinlich an industriellen Unternehmungen beteiligen.“
    „Sie waren Buchhalter, nicht wahr?“
    „Ja — aber ich bin jetzt Teilhaber einer Lebensmittelgroßhandlung.“
    „Also Kaufmann; das ist immerhin ein Vorteil. Sie verstehen
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