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Die indische Erbschaft

Die indische Erbschaft

Titel: Die indische Erbschaft
Autoren: Horst Biernath
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mein Typ. Ich wollte bloß wissen, wie man von nichts wohnt und lebt.“

    „Ich wohne mit ein paar anderen Mitgliedern unseres Ensembles in einer kleinen Pension, ziemlich weit draußen; ich glaube, da ist noch eine Schlafstelle frei.“
    Hinter der Glasscheibe flammte Licht auf, ein Schatten erschien und entpuppte sich als eine weißhaarige Walküre, die ihnen die Tür öffnete und Cornelia einen freundlichen Klaps versetzte: „Mach, daß du nach hinten kommst, du Lotterdirne! Die anderen proben schon seit einer guten Viertelstunde! — Und Sie, junger Mann?“ Sie warf einen mißtrauischen Blick auf Werners Koffer: „Was Sie mir auch anbieten mögen, Zwirn, Seife oder Zahnpasta, mein Bedarf ist gedeckt!“ Cornelia Blank lachte im Hintergrund ein perlendes, gräßlich falsches Bühnengelächter.
    „Mein Name ist Werner Ströndle...“
    „Den uns unser Freund Brückner empfohlen hat? Herein mit Ihnen, junger Freund!“
    Werner fühlte sich für einen Moment von zwei gewaltigen Armen an einen riesigen Busen gepreßt und wurde dann von der Walküre wieder auf Armeslänge zurückgestoßen und betrachtet.
    „Sie wissen natürlich, daß Sie ein hübscher Junge sind?“ Was sollte er darauf antworten? Er schluckte verlegen. „Tolle Erfolge bei den Mädchen im Städtchen, wie?“
    „Nein, gnädige Frau“, stammelte er, „dazu fehlte mir die Zeit und das Geld...“
    „Sehr gut!“ dröhnte die Walküre, „das sind zwei Dinge, die Ihnen auch in Zukunft fehlen werden — und die Gelegenheit dazu!“
    Sie nahm ihn bei der Hand und wogte ihm voraus und öffnete die Tür zu einem ziemlich großen, hellen Raum, der fast unmöbliert war. Zehn oder zwölf Damen und Herren bildeten einen Halbkreis um einen kleinen, etwas verwachsen wirkenden Greis mit einer schlohweißen Mähne und buschigen, pechschwarzen Brauen, der seine Rede unwillig unterbrach, als Werner vor ihn hingeführt wurde.
    „Das ist Werner Ströndle, Leopardi!“
    Der kleine Greis wurde noch buckliger, er krümmte sich zusammen und musterte Werner von unten herauf mit einem schielenden Blick, dazu stieß er merkwürdige Laute aus: „Haha! Hoho! Höhö!“ und begann, um Werner zu kreisen und ihn zu mustern, von oben bis unten und von hinten und vorn, wie ein Sklavenhändler seine Ware.
    „Können Sie sprechen?“ fragte er plötzlich; er schoß die Frage wie einen Pfeil aus dem Hinterhalt auf Werner ab. Niemand kicherte, und das gab Werner etwas von seiner Sicherheit zurück. Der alte Herr schien ein wenig schrullig zu sein...
    „Ich hoffe, daß ich es kann, Herr Leopardi!“
    „Was zum Beispiel?“
    „Den Claudio vielleicht...?“ schlug eine weibliche Stimme vor.
    Der kleine Alte schoß mit einer erstaunlichen Wendigkeit herum und schien den Buckel plötzlich zu verlieren. „Halte den Mund, Cornelia, du bist nicht gefragt!“
    „Die Kleopatra-Schilderung des Enobarbus vielleicht?“ fragte Werner, „die Barke, drin sie saß, brannt auf dem Wasser...“
    „Gut, gut, ein Meisterstück! Eine Perle von zauberhaftem Glanz!“ rief der Alte verzückt, „aber viel zu schwer für Sie!“ Er drehte sich behend um und griff aus einem Bücherstapel, der hinter ihm auf einem Stuhl lag, einen abgegriffenen Band heraus und blätterte darin herum. Er winkte Werner mit einem Fingerschnalzen heran und reichte ihm das Buch: „Kennen Sie das Gedicht?“
    Es war das „Wiegenlied, beim Mondschein zu singen“ von Matthias Claudius.
    „Ja, ich kenne es“, nickte Werner, „aber...“
    „Was aber?“
    „Es macht mir immer die Kehle eng...“, murmelte er bedrückt.
    Der alte Mann hob ruckartig das Gesicht: „Das ist gut. Los, lesen Sie! Einfach, ganz einfach, und das Buch in die linke Hand!“

    „So schlafe nun, du Kleine!
    Was weinest du?
    Sanft ist im Mondenscheine und süß die Ruh.
    Auch kommt der Schlaf geschwinder
    und sonder Müh,
    Der Mond freut sich der Kinder
    und liebet sie...“

    Der alte Herr warf die Arme hoch: „Halt! Schluß! Genug!“
    Werner ließ den Gedichtband sinken und biß sich auf die Lippen. Aus! Na schön. — Was mußte dieser alte Narr ihm auch gerade dieses Gedicht vorsetzen, dessen Zartheit und Schönheit ihn nie über die Hälfte hinauskommen ließ, ohne ihm einen Kloß in den Hals zu treiben.
    „Sie können Pappa Leopardi zu mir sagen, Werner Ströndle! Sie sind in unseren Kreis aufgenommen, falls Sie und jetzt verkrümmte er sich in einer geradezu schrecklichen Weise, und aus seinen Augen loderten düstere Flammen,
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