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Die Ich-Illusion

Die Ich-Illusion

Titel: Die Ich-Illusion
Autoren: Michael Gazzaniga
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Bälle miteinander und dem Wegrollen des roten Balls allerdings eine zeitliche Lücke oder der rote Ball rollt schon vor dem Kontakt mit dem grünen Ball davon, dann sehen die meisten Versuchspersonen keine kausale Beziehung. Es ist die rechte Hirnhälfte, die diesen Unterschied wahrnimmt. 22 Die linke Hemisphäre bleibt von zeitlichen oder räumlichen Lücken in diesem Versuch unbeeindruckt; sie sah in allen drei Fällen einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Die Kausalitätswahrnehmung ist die Domäne der rechten Hirnhälfte. Als Newton den Apfel fallen sah, aber kein Ereignis entdeckte, das den Fall verursacht haben könnte, tat er es mit seiner rechten Hirnhälfte. Für andere Tiere hört die Geschichte hier auf. Newton war aber nicht zufrieden damit, schlussfolgerte, wandte logische Regeln an und setzte all sein begriffliches Wissen ein, was sich, wie Sie sicher schon vermutet haben, alles in die Domäne der linken Hemisphäre abspielt. Das bestätigen die Ergebnisse des folgenden Experiments: Über einem größeren Kasten befinden sich zwei kleinere Kästchen, ein grünes und ein rotes. Beide konnten – einzeln oder gemeinsam – herabsinken und den größeren Kasten berühren, der aufleuchtete, wenn er vom grünen Kästchen berührt wurde. Die linke Hirnhälfte kann leicht den kausalen Schluss ziehen, dass das grüne Kästchen das größere berühren muss, damit dieses aufleuchtet, aber die rechte bringt es nicht fertig. Während wir uns durchs Leben kämpfen, immer von einer Aufgabe zur nächsten, treten unterschiedliche Regionen in den Vordergrund. Sie sind verteilt über das ganze Gehirn, und ihre Aktivitäten werden nahtlos aneinandergefügt, während sie unser Bewusstsein in seinem steten Wechsel beherrschen.
DER INTERPRET WEISS SICH ZU HELFEN
    Diese nahtlosen Übergänge sahen wir in der Praxis, als eine unserer Split-Brain-Patientinnen unerwartet einige wenige Wörter mit der rechten Hirnhälfte zu sprechen begann. Später kamen auch noch andere Patienten hinzu. Jedenfalls waren wir erstaunt, als wir der rechten Hälfte das Wort Schlüssel und der linken das Wort Gabel zeigten und die Patientin nicht nur »Gabel« sagte, sondern erst »Gabel« und dann »Schlüssel«. Was ging da vor? Wieder wollten wir wissen, ob zwischen den beiden Hirnhälften Informationen übertragen wurden, intern oder extern, oder ob beide Hälften sprechen konnten. Um das zu klären, zeigten wir ihr zwei weitere Bilder, baten sie aber diesmal, die Begriffe nicht zu nennen, sondern nur anzugeben, ob sie identisch seien oder nicht. Das konnte sie nicht. Nach weiteren Tests stand fest, dass die rechte Hemisphäre selbst ein Wort ausspuckte und keine Informationsübertragung stattfand. Jetzt fuhren wir mit Tests fort, die zeigten, wie schnell man sich daran gewöhnt: indem der Interpret einfach alle Informationen zusammenfasst, die er bekommen kann. Wir zeigten dem Patienten PS eine Serie von fünf Bildern, die jeweils zwei Wörter darstellten, nämlich Mary + Ann; May + Come; Visit + Into; The + Town; Ship + Today . Das jeweils linke Wort wurde von der rechten Hemisphäre erkannt, das rechte von der linken. Die fünf Wörter, die jede Hirnhälfte zu sehen bekam, ergaben in sich jeweils einen sinnvollen Satz. Die rechte Hemisphäre sah: Mary may visit the ship (»Mary kann das Schiff besuchen«). Die linke sah: Ann come into town today (»Ann kommen heute in die Stadt«). Normal von links nach rechts gelesen, wie Sie und ich es tun würden, ergeben die Wörter auf den fünf Bildern zusammen den Satz Mary Ann may come visit into the township today (also »Mary Ann kommt vielleicht heute zu Besuch in die Stadt«). Was sagte nun unser Split-Brain-Patient, was er gesehen habe?
    PS: Ann come into town today (Ann kommen heute in die Stadt)  [die linke Hirnhälfte spricht]
    Versuchsleiter (VL): Sonst noch etwas?
    PS: Auf einem Schiff  [jetzt setzt die rechte Hemisphäre ein]
    VL: Wer?
    PS: Ma
    VL: Was noch?
    PS: Zu Besuch
    VL: Weiter?
    PS: Um Mary Ann zu besuchen
    VL: Jetzt die ganze Geschichte, bitte.
    PS: Ma sollte heute in die Stadt kommen, um Mary Ann auf dem Boot zu besuchen. 23
    PS brachte die Wörter erst zusammen, nachdem er sie ausgesprochen hatte. Der Interpret empfing die Information von der rechten Hirnhälfte extern und hatte keinen Zugang zu diesem Teil des Satzes, bevor er von der rechten Hemisphäre ausgesprochen und von der linken gehört worden war. Dann musste er sich etwas einfallen lassen. Wieder
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