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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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Valentin noch zu
Werke gehen würde.

 
    2
     
     
     
    Schläft sie?
»Judith?«
    Nein. Es geht wieder los: die
Hochzeit, das Zeichen und dass niemand es ahnte.
    Mir scheint,
ihr Fieber nimmt zu.
    Aber das
Kühlen mit den Lehmumschlägen war eine gute Idee!
    Was war das
eben? Sie wird immer undeutlicher. Manchmal flüstert sie. Die Stimme klingt
heiser. Wie?
    »Nein, ich
bin nicht Elsbeth, ich bin Sorka.« Ich bin die böhmische Dirne, wie dir
vorgestern noch zu sagen beliebte. Die nicht aus Böhmen kommt, sondern aus
Mähren, was nun aber egal ist, in Sachsen hat man uns auch immer »die Böhmen«
genannt, die Vornehmeren sogar auf Französisch: la bohéme. Was gleichbedeutend
war mit Heruntergekommenen, Gesindel, Lumpenpack, Habenichtsen. Und das waren
wir am Ende ja auch.
    Wir hatten
zur Ausreise nur wenig mitnehmen dürfen. Wir fuhren auf Nebenstraßen,
übernachteten in Ruinen und nasskalten Wäldern, immer mit jähem Erwachen,
Aufrichten im Stroh, erschrockenem Blick. War da was? Ein Hufschlag?
Waffenklirren? Kommandos? Immer auf der Flucht vor den kaiserlichen
Patrouillen, die, obwohl wir gültige Papiere hatten, von uns »beschlagnahmten«,
was sie nur konnten. Schon hinter Kolin, als wir uns entscheiden mussten: ins
sächsische Pirna oder ins polnische Leszno, war uns der Unterschied nicht mehr
wichtig: Mähren, nicht Böhmen! Der böhmische, nicht der mährische Adel! Die
böhmischen, nicht die mährischen Stände! Der böhmische, nicht der mährische
Aufstand!
    Dabei hatten auch wir in
Mähren damals auf den protestantischen König gehofft. Auf weitere freie
Religionsausübung. Auch wir hörten von den sich häufenden Zwischenfällen,
Donauwörth, Prag, mit Besorgnis.
    Die beiden
Lager, die Katholische Liga, die Protestantische Union, standen sich schon im
Jahr meiner Geburt waffenstarrend gegenüber, sagte mein Vater, und die freie
Religionsausübung, die uns damals gerade erst gewährt worden war, weißt du…
    Nein, weißt
du nicht. Du bist noch immer mit dem Lebensbund und deiner Hochzeit
beschäftigt, und wenn ich eben richtig gehört habe, ist jetzt Valentin dran.
     
     
    Im
Unterschied zu deiner wurde die Hochzeit meiner Eltern heimlich gefeiert. Die
war nämlich vor der freien Religionsausübung, die uns dann auch nur für kurze
Zeit erlaubt worden war.
    Unsere Gottesdienste fanden
in Waldverstecken, Schluchten und Berghöhlen statt. Als Pilz- und Beerensucher
schlich man zum Traualtar. Als Reisigsammler kam zu uns der Priester.
»Grubenheimer« nannten uns deshalb die Leute. Und wie froh sie waren, als sie
keine »Grubenheimer«mehr sein mussten, sagten die Eltern. Als es endlich legal
war, Mitglied der Unitas fratrum, der Brüdergemeinde, zu sein.
    Jedenfalls
haben auch wir, in den Brüdergemeinden in Mähren, Hoffnung auf einen
evangelischen König gesetzt. Meine Eltern würden die Inbrunst, mit der ich dem
König anhing, schwerlich geduldet haben, wenn sie nicht, zumindest am Anfang
noch, mit ihm sympathisiert hätten.
    Ich war erst
zehn damals, weißt du.
    Und wenn du den Kopf nun noch
mehr anheben würdest, könnte ich dir auch wieder Wasser einflößen. Die
Brandwunden heilen wieder, aber du musst trinken, viel trinken.
    Ich war zehn
damals, als ich jeder Zeitung nachjagte, jeder Nachricht, jedem Fliegenden
Blatt. Vor allem belauschte ich eifrig die Großen. Sie glauben ja immer, man
höre ihnen nicht zu, wenn man im Bäckerladen die Brote streng mustert, in
Brunnennähe an einem Schürzenband knotet, beschäftigt scheint, wenn sie reden.
    Ich
besprengte sehr fleißig auf der Bleiche die Wäsche, weil ich von den Frauen
dabei manches erfuhr. Ich bot mich an, dem Vater zu helfen. Die Papiere zu
ordnen, die Werkstatt zu fegen. Es war neue Druckerschwärze gekommen. Der Vater
sprach mit dem Lieferanten und ich hörte, der künftige König wisse noch nicht,
ob er das Angebot der böhmischen Stände annehmen solle. Auch der Kaiser erhebe
ja Anspruch auf den böhmischen Thron.
    Das beschäftigte mich damals
sehr! Der von den böhmischen Ständen gewählte neue König für Böhmen!
    Deshalb
klapperte ich auch nicht mit den Messern, sondern schob die Schublade leise zu.
Der Pfalzgraf, den man gewählt habe, hörte ich, sei noch sehr jung. Seine
Mutter habe ihm abgeraten, die Krone zu nehmen, seine Gemahlin ihm zu.
    Ich stand am
Schrank und bestrich Butterbrote für die drei Männer, die, von Kopf bis Fuß
schwarz gekleidet, am Tisch in unserer Stube saßen. Sie sprachen mit unserer
Mutter, die
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