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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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dass
auf der Prager Burg nun die Gerechtigkeit herrschte. Ein König, der den
Untertanen die Hand gab! Ein König, der sich mühte, unsere Sprache zu lernen!
Der mit dem Volk in der Moldau badete! Wie ein Bauernjunge auf Bäume kletterte!
Der sogar das Volk in seine Prunkräume ließ!
    War nicht
Přemysl, bevor er der erste böhmische König wurde, vorher Bauer gewesen?
Wurde nicht sein Bastschuh immer noch auf der Prager Burg aufbewahrt, damit die
böhmischen Könige ihre Herkunft aus dem Volk nicht vergäßen?
    Und nun also
durfte das Volk seinen König besuchen. Es durfte die samtenen Vorhänge
anfassen, die goldenen Uhren berühren. Es durfte sich in den Spiegeln besehen
und auf die weichen Teppiche treten. Ja, es durfte sogar den jüngsten Prinzen
auf den Arm nehmen, wodurch der hohe Säugling seine Schuhchen einbüßte. Seine
Schuhchen? Und ein Mützchen fehlte ihm hinterher auch?
    Das hielt ich für katholische
Propaganda!
    Mit zehn weiß
man noch genau, was stimmt und was nicht stimmt. Was nicht stimmte, war für
mich katholischen Ursprungs.
     
     
    Die Eltern
haben uns damals den Marsch der kaiserlichen Truppen nach Prag, so lange sie
konnten, verschwiegen. Die breite Schneise der Verwüstung, die brennenden
Dörfer, die gemordeten Menschen. Die Heimatlosen, die sie zurückließen. Die
Kadaver mutwillig geschlachteter Tiere, die ihre Marschroute säumten.
    Die Eltern
haben uns den wachsenden Unmut der Prager verschwiegen, den zunehmenden Zorn
des böhmischen Adels. Sie haben uns nicht erzählt, dass in Olomouc, als der
König Mähren zu besuchen geruhte, die Behörden den Saal mit Soldaten füllten,
um den König die Abwesenheit des Adels nicht merken zu lassen.
    Mir fiel auf:
Es kam keine Reitpost mehr.
    »Ich habe die
Zeitung abbestellt«, sagte der Vater. Er log nicht. Er hatte sie abbestellt.
Onkel Libor, der Böttcher, bezog sie nun, und zwar auf des Vaters Kosten.
Bücher werden in wasserdichten Behältnissen, also in Fässern, versandt. Er
musste sowieso oft zu Libor.
    Die Eltern achteten plötzlich
darauf, dass wir nicht in der Nähe waren, wenn sie sich besprachen. Wenn die
Mutter vom Markt Neuigkeiten mitbrachte, verschwand sie in der Werkstatt des
Vaters. Ich durfte am Herd nun auch Selnjatschka und Kulaj da rühren, denn die
Mutter flüsterte am Tisch mit Kaufmann Vrbatý, einem Lutheraner aus Mladá
Boleslav. Beide sahen besorgt aus. Es ging um den König. So viel hatte ich
herausgekriegt. Etwas war im Gange.
    Ich schob es damals auf jene
Dinge, die angeblich nichts für mich waren. Sie würden erst für mich sein, wenn
ich verheiratet wäre.
    Ich tauschte
mich darüber mit Jura aus. Über die tiefen Dekolletés der Königin, über die
zugeknöpften Damen des böhmischen Adels.
    Wir standen
vor den Setzkästen. Es gab einen Großauftrag. Wir halfen fast täglich. Der
Vater und Pavel und Franta, unsere beiden Gesellen, waren hinten an der Presse
mit dem Andruck beschäftigt. Jura nahm einen Satz auseinander und wickelte die
Schnüre auf, ich sortierte die Lettern. Dass unsere Mutter im Flur stand,
bemerkten wir nicht.
    »Und dein
König schreibt ihr jeden Tag einen Brief!«
    »Erstens ist es auch dein König
und zweitens: Was soll daran falsch sein.«
    »Na hör mal! Im siebten
Ehejahr! Und wenn man sich jeden Tag sieht! Da schreibt man nicht mehr!«
    »Und bis zu
welchem Ehejahr darf man noch schreiben?«
    »Sag mal, Mädchen, bist du so
dumm oder tust du nur so! Das hat was mit ihrer Unkeuschheit zu tun! Sie ist
immerzu schwanger!«
    »Von den
Briefen?«
    Plötzlich sah
ich Jura genauso erröten, wie es angeblich die Königin beim Lesen der Briefe
tat. Er hatte unsere Mutter entdeckt.
    »Kinder, woher wisst ihr denn
das alles?«
    »Ich nicht. Er weiß alles!«
    Schadenfroh
zeigte ich auf Jura. Der hätte das Gesagte gern ebenso verbrannt wie die
Königin ihre schamlosen Briefchen. Er wisse es von seinem Freund Hynek,
erklärte er. Hynek habe einen Vetter in Prag und der habe eine Nachbarin, deren
Neffe auf der Burg in den Räumen der Königin die Öfen betreute.
    »Ach so. Na gut. Kommt essen.
– Jeroným, Pavel, Franta, das Essen ist fertig.«
    Ich sah die
Mutter zur Presse treten und dem Vater schnell etwas zuflüstern. Der warf einen
kurzen Blick auf Jura und mich. Dann saßen wir alle in der Stube am Tisch und
nach dem Gebet sagte uns der Vater die Wahrheit.
    »Am Weißen
Berg, Kinder, nicht an unserem, bei Prag gibt es auch einen Weißen Berg, am
Weißen Berg bei Prag standen vor ein
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