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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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paar Wochen die Soldaten des Königs viermal
so vielen des Kaisers zur Schlacht gegenüber. Und die Soldaten des Königs, die
im Grunde schon vorher am Ende waren, die schon wochenlang keinen Sold mehr
bekommen hatten und hungern mussten…«
    »Das ist nicht wahr!«
    Ich hatte es
geschrien. Alle erstarrten. Noch nie wurde in dieser Stube der Herr des Hauses
der Lüge geziehen!
    Er log aber
nicht. Mein Vater log nie.
    Von den
Soldaten des Königs waren damals tatsächlich welche Hungers gestorben. Andere
hatten ihren Sold bei den Bauern in den Dörfern um Prag mit Waffengewalt und
auf eigene Faust eingetrieben. Wieder andere hatten nichts dagegen gehabt, dass
der König, um an Geld für seine Armee zu gelangen, Juden und Katholiken zu
verfolgen begann.
    Der König,
sagte der Vater, bat die reichen Prager um Geld. Die hatten aber erstens schon
zwei Jahre zuvor Kriegsanleihen gezeichnet und zweitens mochten sie den König
nicht mehr. Empört, weil er seinen kalvinistischen Priestern erlaubt hatte,
Madonnen und Reliquienschreine aus dem Veitsdom zu werfen und Kruzifixe,
Statuen, Bilder, sogar den Cranach-Altar zu vernichten, empört auch, weil er,
als sei das noch nicht genug Gotteslästerung, sogar einen Tisch mit zwölf
Stühlen in den Chor stellen ließ und sich selbst das Abendmahl auszuteilen
erfrechte, empört, ja entsetzt, weil er ein Kreuz von der Karlsbrücke stürzen
ließ, weil er das Grab des heiligen Wenzel aufbrechen lassen wollte, weswegen
die Bürger dort Wachen aufstellten, aufs Höchste über diesen König empört,
gaben die Prager ihm kein zweites Mal Geld.
    1620, einen
Tag vor meinem elften Geburtstag, wurden die Truppen des evangelischen Königs
von denen des katholischen Kaisers besiegt.
    Während der
Nordwesten Prags schon fest in der Hand der Sieger war und ein mehrwöchiges
Metzeln und Plündern begann, bei dem niemand mehr gefragt wurde, ob er
evangelisch oder katholisch, königs- oder kaisertreu war, raffte man auf der
Burg schnell das Allernötigste zusammen. Acht Wagen musste man zurücklassen,
weil sie sich an einer Ausfahrt verkeilten. Fast hätte man auch den jüngsten
Prinzen, den hohen schuhlosen Säugling, vergessen. Die galanten Bücher der
Königin vergaß man. Die wurden später von errötenden Prälaten gefunden.
    Und während
in Prag das große Morden in Schwang kam, waren König und Königin auf der
Flucht.
    Und wir dann auch bald.
    Wir aus den
evangelischen Gemeinden in Mähren.
    Aber du
kannst ruhig Böhmen sagen, es macht mir nichts aus.
     
     
    Wie kriege
ich bloß dein Fieber runter?
    Außerdem
frage ich mich, ob es dich trösten würde, wenn du wüsstest, wie in Prag danach
das Denunziantentum blühte.
    Es sind
damals viel mehr Leute angezeigt worden, als der König Anhänger hatte!
    Die Rache des Kaisers war
gründlich.
    Graf Šlik hat
dem König die Hand gegeben? Sie wurde ihm abgehackt. Er hat sich zum Vertreter
des böhmischen Adels gemacht? Er wurde gevierteilt. Seine Körperteile bekamen
die Hunde zum Fraß.
    Und der? Hat
gegen den König gesprochen? Raus mit der Zunge! Und der? Hat im Rathaus die
Krönungskleinodien…? Hängt ihn im Rathaus am Fensterkreuz auf!
    Mit dem
Kaiser zog auch ein strenges Zeremoniell wieder ein: Zuerst richtete man die
Adligen, dann die Akademiker, zuletzt die einfachen Bürger. Das Hängen, Köpfen
und Handabschlagen begann früh um fünf und dauerte ganze vier Stunden. Es fand
auf dem Altstädter Ring statt. Seine Majestät haben dabei manchmal geweint. Der
Henker verbrauchte vier Schwerter. Ein gewisser Diviš, ein einfacher
Ratsschreiber, der nur das Pech gehabt hatte, den Auftrag ausgeführt zu haben,
den er damals bekam: den König im Namen des Vierten Standes zu begrüßen, wurde
dafür in gebückter Stellung mit der Zunge für zwei Stunden an den Galgen
genagelt.
    Für den Fall,
dass in Prag immer noch jemand, was Recht und Unrecht betraf, nicht der Meinung
des Kaisers war, patrouillierten während der Exekutionen auf dem Altstädter
Ring siebenhundert sächsische Reiter durch Prag. Während der Hinrichtungen in
der Nähe des Kaisers zu sitzen war eine Ehre. Auch Verwandte der Hingerichteten
wurden dieser Ehre teilhaftig. Geehrt sahen sie zu, wie der Henker die
abgeschlagenen Köpfe ihrer Onkel, Neffen und Brüder emporhob, wie er sie in die
eisernen Körbe legte, in denen man sie an den Altstädter Brückenturm hängte.
    »Und wozu
hängt man sie daran?«
    Mein Bruder
hatte, was unsere Tante erzählte, offenbar noch nicht so
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