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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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beschäftigt am Herd stand, denn ich war ja ihrer Meinung nach nicht
in der Lage, eine einfache Suppe wie Kulaj da zu rühren. Die Stube war groß.
Sie sprachen laut. Der junge König und seine Gemahlin. Ich nahm einen größeren
Teller und schichtete die Butterbrote noch einmal um.
    Eigentlich
mochte ich die drei Schwarzgekleideten nicht besonders. Sie kamen oft, aber da
sie Hutterer waren, Männer, die sich nach den Lehren eines schon verstorbenen
Jakob Hutter richteten, auf großen Höfen lebten, wo allen alles gemeinsam
gehörte (auch die Frauen, behauptete Jura, mein Bruder), galt es bei ihnen als
unschicklich, der Mutter oder mir in die Augen zu blicken. Sie sahen uns nie
an.
    Die Suppe, die die Mutter
ihnen in die Schüsseln füllte, die Butterbrote, die ich in die Tischmitte
stellte, schienen ihre Ansprüche an Schicklichkeit aber wohl zu erfüllen. Der
Jüngste bekleckerte sich mit der weißen Kulajda. Der Dicke hatte im
Handumdrehen zwei Brote verdrückt. Und ich tat, als ob ich die Blicke der
Mutter nicht ganz verstand: Ich setzte mich auf den Hocker am Fenster und
dachte nicht daran, zu verschwinden.
    Bis dahin wusste ich von den
Hutterern nur, dass ihre handwerklichen Fähigkeiten vom mährischen Adel sehr
geschätzt wurden. Nun erfuhr ich von ihren Verbindungen nach Deutschland. Die
Schriften, die sie bei uns im letzten Jahr drucken ließen, waren für den
Versand nach Deutschland bestimmt. Ihre Verbindungen reichten offenbar bis nach
Heidelberg an den pfalzgräflichen Hof, denn sie wussten, was die Gemahlin des
Pfalzgrafen sagte. Als dieser immer noch zögerte, die böhmische Krone
anzunehmen!
    »Lieber mit
einem König jeden Tag Sauerkraut essen als mit einem Pfalzgrafen jeden Tag
Braten.«
    »Sie ist eine englische
Prinzessin«, sagte der eine. »Die Tochter von König Jakob.«
    »Der Herr widersteht den
Hoffärtigen«, sagte der andere.
    Einmal pro
Woche kam zu uns die Reitpost. Ungeduldig wartete ich damals immer, bis der
Vater seine Zeitung auß Deutschland/Welschlandt/Frankreich/Böhmen/Hungarn/
Niederlandt vnd anderen Örtern Wöchentlich zusammen getragen endlich
ausgelesen hatte, nutzte den Augenblick, da er mich beim Abendessen für eine
Schularbeit lobte, »Meine Tochter schrieb die beste Arbeit in Latein, hörte
ich?«, und erbat mir die beiden großen gehefteten Bögen.
    »Und was willst du damit?«
    Ich gebe zu,
dass er mich sonst Klügeres fragte.
    »Darauf
schlafen«, ließ sich kauend Bruder Jura vernehmen, »weil wieder etwas über
ihren Abgott drinsteht.«
    »Jedem das
Seine. Dem einen Knödel, dem anderen Bildung.«
    »Du hast doch
selber Knödel gegessen!«
    »Aber nicht
vier!«
    »Kinder«, mahnte die Mutter,
»ihr sollt euch nicht streiten.«
    Ich weiß
noch, wie ich mich mit dem Abräumen, Abwaschen, Herdversorgen beeilte und dann
auf der Ofenbank neben dem Fenster, wohin ich mir einen Leuchter mitnehmen
durfte, keinen Blick mehr hatte für den Sternenhimmel über dem Tal und die
verschneiten Dächer von Stramberg.
    Ich war nicht
da. Ich war in »Heidelberg am Neckar-Fluss«, wie es unter einem der
Holzschnitte stand. Ich reiste mit. Ich befand mich in einem Zug aus Dienern,
Läufern, Leibwachen, Reitern, Kutschen und Wagen und begab mich mit dem
künftigen König auf die Reise nach Prag. Ich ritt bei den mitreisenden Fürsten.
Ich stieg wie der König, der künftige, aus der Kutsche, als ihn an der
böhmischen Grenze feierlich der böhmische Adel begrüßte.
    Graf Šlik
begrüßte den König auf Deutsch, der Herr von Roupova die Königin auf
Französisch.
    Und der
König, las ich, gab den Nächststehenden zur Begrüßung die Hand. Er gab seinen
Untertanen die Hand!
    Ich war erst
zehn, aber dass das nie bei einem Habsburger vorgekommen wäre, dass nie ein
Habsburger einem Untertanen die Hand gegeben hätte, das wusste ich. Was für ein
König!
    »Das stimmt«,
sagte der Vater, »bei den Habsburgern galt das spanische Hofzeremoniell.«
    Der König war
schön. Der König war gut. Trompeten und Pauken waren das Mindeste, was er in
Prag bei seinem Einzug verdiente! Sechshundert Edle, die ihn durch die
Hauptstadt begleiteten! Reiter, Knappen und Dienerschaft! Glocken und Trommeln
und wehende Fahnen! Ganz Prag geschmückt in Silber und Blau! Ach, wie gern
hätte ich ihn selbst gesehen: zu Pferde, umgeben von blausilbernen Knappen! Die
Königin mit dem sechsjährigen Prinzen in einer Kutsche dahinter! Das Spalier
der Bürger vom Strahov-Tor bis zur Burg!
    Ich war überzeugt davon,
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