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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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Brandenburgischen Gewohnheitsrechts unterhielt,
die Angst vor der Einsamkeit nach der Heirat der Tochter in diesem Augenblick
vergessen zu haben. Verstohlen, hinter der schweren, grünsamtenen Tischdecke
verborgen, tastete sie nach Kobers Hand.
    »Judith? –
Hört mal!«
    Kober, mit
einer Kopfbewegung, deutete zu dem Tisch hinüber, an dem zwischen lauter
Hausfrauen und Müttern Judiths unverheiratete Freundin Benígna Chemnitz saß.
    Die
Geistlichen, nicht weit davon, hatten gerade lautstark den Nutzen der Predigt
erörtert. Der Subdiakon würde sie in Lenzen, der Archidiakon in Havelberg
drucken lassen; und Benígna dachte ebenfalls über die Traupredigt nach. Der
verborgene Mensch des Herzens, habe es darin geheißen, sei köstlich vor Gott.
Wenn aber der verborgene Mensch des Herzens derart wortreich gepriesen werde,
dann sei er doch gar nicht verborgen!
    Und nun
musste sie, die arme Benígna, die mit ihren dreißig Jahren zwar keinen Mann
mehr, aber jeden Tag einen anderen Grund zum Nachdenken fand, sich von der
kleinen Neufeld, die ihr gegenübersaß und zwar erst achtzehn war, aber ihr
einen Mann und zwei Kinder voraushatte, über Bratenplatten und Salatschüsseln
hinweg mit unangenehm heller Stimme darüber belehren lassen, dass das doch
Spintisierereien seien und die wirklichen Probleme ganz andere! Das Geld! Die
Krankheiten der Kinder und die Sorgen des Mannes! Während sie, Benígna,
überhaupt nicht wisse, wie gut sie es habe. Während sie immer noch bei der
Mutter im Warmen sitze und jeden Tag Zeit habe, über sich selbst nachzudenken!
    Benígna, in
ihrem einsamen Leben mit der Mutter nicht in die wirklichen, sondern nur in die
unwirklichen Probleme verstrickt, nahm von da an am Gespräch nicht mehr teil.
Dafür brach links vom Brautpaar ein lebhaftes aus. Kobers Vater, der Bürgermeister
Balthasar Kober, hatte den anderen Herren gerade die Vorzüge der Mark banco
erklärt und nun bestürmten ihn alle mit Fragen.
    »Und die
Amsterdamer Bank, sagtet Ihr, arbeitet so?«
    »Ja, und ich sag Euch: Das
funktioniert!«
    »Und 1620
fängt die Hamburger an?«
    »1619. Im
nächsten Jahr schon!«
    Es war ja
nicht das erste Fest, an dem Judith teilnahm. Dass ihres Vaters alte Schwester,
Jungfer Elisabeth Heinisch aus Parchim, sich nur an die weichen Speisen halten
und sich am besten mit Elsbeth verstehen würde, war genauso vorauszusehen
gewesen wie dass Benígna und die kleine Neufeld aneinandergerieten oder dass
man beim Essen noch Hochzeitsgedichte verlas. Und wie immer verlangte man bald
auch, zu tanzen. Wie immer verkroch sich dann Daniel Kunow nach hinten. Wie
immer schlug Elsbeth dann etwas Schlesisches vor, »Sechs Wucha ver Ustern« etwa
oder »Wenn mer warn eia Himmel kumma«, was die fünf Spielleute aber beides
nicht kannten. Und auch, dass Elsbeth dann abwinkte, sich wieder neben Tante
Elisabeth setzte und beide heftig den Süßspeisen zusprachen, hatte es schon
immer gegeben.
    Man trommelte, flötete,
geigte. Anna Schaum, eine kleine rundliche Frau mit Apfelwangen, summte die
Tanzweise mit. Ihr Mann, der Bürgermeister Sigismund Schaum, fand,
Hochzeitslieder seien nichts als Sinnen- und Hurengesänge. Das Summen brach ab,
eine Freude erlosch, und auch das war nicht neu. Die Magenschmerzen des
Buchhändlers waren genauso zu erwarten gewesen wie der Kommentar seiner Frau.
»Mein Magen«, stöhnte er. »Mein Magen! Mein Magen! Das wird wohl vom
unregelmäßigen Essen herkommen.«
    »Oder vom
regelmäßigen Trinken«, sagte spitz seine Euphrosyne dazu.
    Auf jedem
Fest brachen ein paar Krüge entzwei, kippte ein Leuchter, riss eine Girlande,
wischte man eine Bierlache auf. Es war, wie sich’s gehörte, alles wie immer.
    Die Wahrheit
ist: Sie bemerkten kein Zeichen.
    Über die
Gründe, die damals Judiths Vater bewogen, Valentin in sein Haus aufzunehmen,
ist später von beiden viel nachgedacht worden. Judith hielt es für möglich,
dass es schon ein alter Wunsch war, denn er, der Magister selbst, hatte erst
mit einundfünfzig geheiratet. Siebenundzwanzig Jahre vor der Hochzeit seiner
Tochter hatte er unbedingt einen Sohn zeugen wollen. Gewissenhaft hatte er
damals die Ratschläge eines Buches befolgt, aß wochenlang nur trockene Speisen,
trank wenig, verschaffte sich viel Bewegung im Freien. Auch hielt er sich, um
sicher zu sein, dass sein Same die nötige Reife erlangte, von seiner jungen
Frau mehrere Wochen lang mannhaft zurück. Dann las er, auf der Bettkante
sitzend, bevor er zum Zeugungswerk schritt,
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