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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker
Autoren: Ingeborg Arlt
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Bretter, die über die Treppen im
Rathaus gelegt, und die Bierfässer, die darauf emporgerollt wurden. Tagelang
stritt man sich um die Namen der Mädchen, die zum Girlandenflechten, und die
der Jungen, die zu Laternenträgern bestellt worden waren. Wozu nun trotzdem
noch am Tag vor der Trauung zwei junge Männer von Haus zu Haus gehen mussten,
um das Ereignis allen bekannt zu machen, gehörte zu den großen Geheimnissen
dieser Stadt.
    Pritzwalk.
Consules civitatis Pritzwalkensis. Die Ratsherren der Stadt Pritzwalk.
    Judith war
Magister David Heinischens Tochter, das einzige Kind jenes Mannes, der vor
vielen Jahren als junger Habenichts nach Pritzwalk gekommen und zunächst als
Lehrer an der Lateinschule angestellt worden war. Abhandlungen, Aufsätze,
Studien, Traktate begründeten seinen wachsenden Ruhm. Einige, wie die
Untersuchungen zum Thema »Welcher Charakter eine Person zum Gerichtsschreiber
qualifizieret« oder »Über den Staatslenker als Exponenten sittlicher Ideen«,
vermehrten auch die Zahl seiner Feinde. Zwar konnten diese nicht verhindern,
dass er eine Advokatur erhielt, erst Schöffe, dann Ratsherr, dann Bürgermeister
wurde, dass der Kurfürst höchstselbst ihn mit Aufträgen ehrte, aber manches,
was sie dem Vater nicht heimzahlen konnten, rechneten sie seiner Tochter an.
    Sie hatte
nicht aufzufallen, jedenfalls nicht unangenehm.
    Sie nickte also. Die
Hochzeitsbitter…
    »Ja, Kober. Gut.«
    Die beiden
jungen Männer wurden prächtig gekleidet. In respektvollem Abstand von einer
Schar Kinder gefolgt, zogen sie am Tag vor der Hochzeit von einem der großen
Bürgerhäuser zum nächsten. Sie klopften. Sie sangen. Sie stampften mit dem
Bänderstab auf. Hausherr und Hausfrau gaben sich angesichts der Botschaft, dass
»Herr Joachim Kober, der ehrenfeste, sie ersuche als seine Gäste« überrascht
und geehrt und bekundeten ihrerseits ihre Freude darüber, dass Herr Joachim
Kober und »die ehrbare und fleißige Jungfrau Judith Heinisch« sie am nächsten
Tag bei Tisch haben wollten. Wonach sie, die ehrbare und fleißige Jungfrau,
allerdings bald keine Jungfrau mehr sein würde, was aber niemanden außer ihr zu
beunruhigen schien.
    Solche
Gedanken hatte sie zu verbergen. Freundlich musste sie sein zu den Mitgliedern
der ratsfähigen Familien, den Schöffen, Richtern, kurfürstlichen Beamten. Zu
Onkel Klaus Kober aus Potsdam, der, kaum dass er seiner Kutsche entstieg, heiße
Milch, eine möglichst abgelegene Kammer und für sein Rheuma ein Katzenfell
brauchte, und zu Tante Euphrosyne aus Fuchsberg, die weder eine Tante noch eine
Euphrosyne war, wenn Euphrosyne »die Heitere« hieß, sondern die sehr ernste
Frau eines Buchhändlers, der ihrem Vater manchmal Extrawünsche erfüllte, und
der Ernst durchdrang sie deshalb so ganz, weil sie als Geschenk zu der
Einladung gern bestickte Pantoffeln gehabt hätte, aber von einem modischen
Kragen ereilt worden war.
    Pritzwalk.
Die Ratsherren der Stadt Pritzwalk.
    Judith verbarg ihren Schreck,
als sie am Morgen der Trauung, immerhin schon in ihrem weinroten Brautkleid,
aus dem Fenster sah und das Gewimmel gewahrte. Paarweise, zu dritt, zu viert,
in Gruppen und Grüppchen standen die Gäste vorm Haus. Verhohlen musterten sie
einander, unverhohlen die Fassade des Hauses: die neuen Fenster des Erkers an
der Ecke, die Bohlentür mit den blanken Beschlägen und dem Türklopfer in
Gestalt dreier Würfel, die drachenköpfigen Radabweiser rechts und links von der
Einfahrt, die Simon so lange mit Sand poliert hatte, bis sie glänzten wie
Silber. Halblaut lasen sich die Ortsfremden die mit frischem Blau nachgezogene
Hausinschrift vor: »Du stehest hier/vor was dir gefällt/kostet mich aber das
meine Geld/hab ich geirrt/so hüte du dich/bin’s nicht allein/dem’s an Wissen
gebricht.«
    Den Fremden
und den Jüngeren gebrach es an dem Wissen, dass außer der günstigen Lage – es
war ein Eckhaus, von dem aus man gegen Westen die ganze Marktstraße einsah –
auch diese Inschrift eine Rolle gespielt hatte, als Heinisch sich für dieses
Haus und gegen den Kauf eines anderen entschieden hatte. Man stand und wartete
und erkundigte sich.
    »Wer ist der da?«
    »Heinrich
Kunow?«
    »Nein, den
kenn ich. Der andere, der Lange.«
    »Der seinen Hut immer so
ungeschickt zieht?«
    Die wenigsten
kannten Valentin Klein. Man kannte Heinrich Wordenhoff, den Doktor beider
Rechte aus Hamburg. Sabellus Chemnitz, den Sechsten Generalsuperintendenten der
Altmark, Doktor Joachimus Chemnitz vom
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